Lieber Edy, das staatslabor freut sich, dich bei der zweiten Auflage unserer staatskantine, die am ersten Donnerstag im September stattfinden wird, begrüssen zu dürfen. Dort werden wir uns mit dir mit der Frage der Smart Cities beschäftigen, für die du Experte bist.
Smart Cities, das ist ein Begriff, den man heutzutage überall hört; manche würden sogar sagen, dass es sich dabei in erster Linie um eine Modeerscheinung handelt. Was ist deine Meinung dazu?
Meiner Meinung nach ist die Idee der Smart Cities gekommen, um zu bleiben. Man kann aber durchaus über die Lebensdauer des Begriffs diskutieren. In der Smart City-Forschung verstehen wir darunter den zielgerichteten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie für eine nachhaltige, soziale, ökologische und ökonomische Entwicklung des urbanen Raums mittels Internet- und Webtechnologien. Dabei liegt unser Fokus am Human-IST Institut weniger darauf, wie smart wir unsere Tools machen können, sondern wie smart diese uns und unsere Städte machen können. Heute erweitern wir den Begriff Smart City bereits weiter, hin zu Human Smart City. Damit werden Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte beschrieben, die verstärkt auf die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen, als Individuen und als Gruppe, fokussieren. Die traditionelle Smart City-Forschung hat sich lange auf Projekte konzentriert, die auf die Steigerung von Effizienz und – ein wenig später – auf Nachhaltigkeit abzielten. Daraus entstanden wichtige Impulse für Klima- und Umweltschutz sowie die Entlastung städtischer Systeme und Infrastrukturen. Doch brauchen die Menschen mehr als das.
Hast du vielleicht ein paar Beispiele an Projekten, aus der Schweiz oder auch aus dem Ausland, die deiner Ansicht nach den Nutzen für die Bevölkerung besonders erfolgreich in den Mittelpunkt stellen?
In der Schweiz stellt die Stadt Zürich eine interessante Smart Governance-Lösung bereit. Mit einer App können die Zürcher Schäden an der städtischen Infrastruktur melden, welche danach schnellstmöglich behoben werden. In der Stadt Bern hat die Sunraising-Initiative eine Smart Energy-Challenge ausgerufen. Der lokale Energiebetreiber und die Stadt ermöglichen den Bernern mittels Bürgersolarkraftwerken und Beteiligungsmodellen, sich aktiv für den Ausbau und die Nutzung erneuerbarer Energien zu engagieren. Auf europäischer Ebene entstand in Amsterdam durch Selbstorganisation der Bürger ein eindrucksvolles Smart Infrastructure-Projekt. Innert weniger Wochen gelang es der Things-Network-Community, genügend Einwohner zu mobilisieren, um ein kostengünstiges Internet der Dinge aufzubauen, welches jedermann offensteht. In Helsinki bietet ein smarter Mobility-Service den Bürgern sofortigen Zugang zu nahezu jeder Art von Transport, von Autos über Taxis zu Bussen, Zügen und Fahrrädern. Eine App kümmert sich um alles, von der Suche nach der optimalen Route bis hin zur Bezahlung. In Lateinamerika, um abschliessend noch ein aussereuropäisches Beispiel zu nennen, strebt die Stadt Bogotá danach, den Digital-Divide zu überwinden, der arme Bevölkerungsgruppen von den Chance und Möglichkeiten der digitalen Welt trennt. Zu diesem Zweck stellt die Stadt in ärmeren Gebieten Computerlabs zur Verfügung und bildet so die Smart People aus, ohne die die digitale Transformation nicht gelingen wird.
Es geht also sowohl um Bürgerinteraktion und Infrastruktur, als auch um die Lösung komplexer sozialer Probleme. Was ist deiner Meinung nach "nice to have", und was wird zu fundamentalen Veränderungen führen?
Das ist eine schwierige Frage. Die Verbindung von Bewohnern, Politik, Wirtschaft, Verwaltung oder auch NGOs mittels Informations- und Kommunikationstechnologie gewährt Zugang zur Komplexität der Stadt, welche sich durch Emergenz, Nichtlinearität sowie Selbstorganisation, -referenz und -regulation ausdrückt. Das Internet und speziell das darauf aufbauende Web erlauben es, diese Komplexität zu adressieren, und ermöglichen neue Formen der Zusammenarbeit. Auf dieser Basis können Menschen und Computer zu einer Einheit werden, in der sie gemeinsam intelligenter agieren als es menschliche Individuen und Gruppen oder auch ein Computersystem jemals alleine tun könnten. Aus der Symbiose von Mensch, Technik und Stadt kann ein Superorganismus entstehen, also ein Kollektiv eigenständiger Individuen, die Fähigkeiten entwickeln, die weit über das Vermögen des Einzelnen hinausgehen. Diese erweiterte Intelligenz wird meines Erachtens die fundamentalste Veränderung der Human Smart City sein, alles andere ist „nice to have“.
Welche konkreten Massnahmen muss eine Stadt deiner Ansicht nach ergreifen, um dieses Potenzial zu nutzen, um also "Human Smart" zu werden?
Es ist fast nicht möglich, hier allgemeingültige Empfehlungen abzugeben, da die Bürger jeder einzelnen Stadt ihre ureigenen Herausforderungen zu bewältigen haben. Der Philosoph Michel Serres glaubt, dass der Mensch jedes Mal einen Schritt über sich selbst hinauswuchs, wenn er sich eines umweltbedingten Zustandes entledigen konnte. Nachdem er den aufrechten Gang erlernt hatte, konnte er die nun freien Hände nutzen, um Werkzeuge zu erschaffen. Die Erfindung der Schrift befreite ihn von der mündlichen Überlieferung und ermöglichte es ihm, Wissen zu sammeln, zu verstetigen. Ähnlich verhält es sich schon heute – und in Zukunft wohl noch mehr! – mit künstlicher Intelligenz, welche den Menschen von Routineaufgaben und Alltagsverrichtungen entlasten kann. Er kann sich stattdessen auf kreativere und schöpferische Tätigkeiten konzentrieren. Wir entwickeln zurzeit mit Ontological Design Research eine Gestaltungsmethode für Human Smart Cities, die künstliche Intelligenz in den Dienst des Menschen stellt. Die dieser Gestaltungsmethode zugrundeliegende Philosophie besagt, dass wir aktiv durch das gestaltet werden, was wir gestaltet haben. Unsere Gedanken formen unsere Technologien, Tools und Städte, welche sich revanchieren. Gute Massnahmen sind Förderung von Innovationsprojekten, mit dem Ziel mehr Optionen für die Zukunft der Städter zu schaffen. Alle zuvor genannten Beispiele ermöglichen etwa einzelnen Bürgern sich mittels Internet- und Webtechnologien mit anderen Stakeholder, aber auch mit intelligenten Systemen, zu verknüpfen, um dadurch gemeinsam über sich herauszuwachsen. Die entstehende kollektive Intelligenz stellt die Bürger in die Feedbackschleife der Computersysteme und umgekehrt. Hieraus entwickeln sich effizientere, nachhaltigere, resilientere sowie humanere Städte.
Was heisst das heute konkret für eine Stadt?
Die entscheidende Frage für eine Stadt sollte heute lauten „wie können wir smarte, bürgerzentrierte Technologien – sowie zugehörige Tools – nutzen, um intelligenter zu werden indem was wir tun?“ Um diese Frage zu beantworten benötigt die Stadt ein wirksames Datenfundament, welches die smarten Tools durch maschinelles Lernen aktiviert. Die Datenwissenschaftlerin Monica Rogati entwickelte auf der Suche nach einem solchen Fundament eine Bedürfnispyramide für intelligente Systeme. Gemäss der ersten Stufe ihrer Pyramide müssen dazu einleitend urbane Daten – etwa von Sensoren, Logins, soziale Medien, etc. – gesammelt werden. Auf der zweiten Stufe sollten diese Daten an den richtigen Ort transferiert und gespeichert werden, bevor sie auf der dritten Stufe transformiert und erforscht werden können. In der vierten Stufe werden die Daten dann aggregiert und klassifiziert, ehe sie am Schluss der Stadt und ihrer Bürger zum Lernen und Optimieren zur Verfügung stehen. Dies ist der technische Part der Smart City, welche die Bürger in ihrer sozialen Rolle unterstützen kann. Eine Stadt sollte also konkret mit einer holistischen, bürgerzentrierten Datenaufbereitung beginnen, um ein soziotechnisches System zu schaffen, welches den ersten Schritt in Richtung Mensch-Technik-Stadt-Symbiose markiert.
Über Edy Portmann
Dr. Edy Portmann ist Assoziierter Professor für Informatik und Förderprofessor der Schweizerischen Post am Human-IST Institut der Universität Freiburg i.Üe. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt das Thema Smart City. Er studierte Wirtschaftsinformatik, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre und promovierte in Informatik. Er war u.a. bei Swisscom, PwC und EY tätig. Zudem forschte er an den Universitäten Singapur, Berkeley und Bern.