Die erste Veranstaltung des staatslabors nach der Sommerpause bestand dieses Jahr aus einem aussergewöhnlichen Zusammentreffen zweier Welten, die sonst eher wenig miteinander zu tun haben: der Welt der Videospiele, mit Entwicklern sowohl aus der deutschen als auch der französischen Schweiz, sowie Experten aus dem öffentlichen Sektor.
Aus letzterer Gruppe waren unter anderem Repräsentanten des Bundesamts für Gesundheit (BAG), des Bundesamts für Verkehr (BAV), des Bundesamts für Umwelt (BAFU), des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), des eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau (EBG) oder der Kantonspolizei Waadt anwesend. Ausserdem waren Vertreter von Pro Helvetia, der Hochschule für Kunst und Design in Genf (HEAD), der pädagogischen Hochschule des Kantons Waadt sowie von Dachverbänden wie der Schuldenberatung Schweiz erschienen.
Der Abend wurde in Zusammenarbeit mit dem GameLab, einer Arbeitsgruppe zum Thema Videospiele und interdisziplinäre Gruppierung von Forschern der Universität Lausanne (UNIL), organisiert. David Javet und Yannick Rochat stellten zunächst ihre Arbeitsgruppe vor und gaben anschliessend eine Einführung in das Thema des Abends. Dabei hoben sie insbesondere die Reichhaltigkeit, die Dynamik und die Produktionsqualität der Gemeinschaft von Videospielentwicklerinnen und -entwicklern in der Schweiz hervor. Als sie sich im Anschluss der Frage zuwendeten, wie Videospiele als Medium dabei helfen können, öffentliche Politik umzusetzen, erinnerten die beiden Gründer an die Eigenschaften eines gelungenen Spiels, nämlich gute grafische Gestaltung, eine aktive Verwaltung der Community, regelmässige Aktualisierungen sowie selbstverständlich ein gutes Universum und gute Spielsysteme, mit denen die Botschaft effektiv vermittelt werden kann. Anschliessend gab das GameLab das Wort an die anwesenden Entwickler weiter.
Yasemin Günay und Mischa Geiser, zwei der Gründer von Koboldgames, stellten zunächst fest, dass Spiele, die ja in erster Linie eine Unterhaltungsform sind, es erlauben, ein sonst eher ungewöhnliches Zielpublikum anzusprechen. Ein Fitnessspiel beispielsweise, bei dem man ein Piratenschiff durch Körperbewegungen steuert, kann Personen zum Sport ermuntern, die üblicherweise wenig Interesse an körperlicher Betätigung haben. Videospiele sind auch besonders effektiv, um sich intensiv mit einer bestimmten Thematik zu beschäftigen und sie leichter verständlich zu machen. Dies kann deutlich effektiver als durch einen Text oder selbst durch ein Video erfolgen, da es eine aktive Erfahrung schafft.
Digital Kingdom, ein Studio mit Sitz in Vevey und auf den Kulturbereich sowie Serious Games spezialisiert, wurde von Olivier Reutenauer vertreten, der ein paar Beispiele ihrer Arbeit gab: die interaktive iPad-App „Parcours Pro‘ “, die sich an Schüler am Ende ihrer Schullaufbahn richtet und zum Ziel hat, sie für die Vielzahl an Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten zu sensibilisieren und zur Entdeckung dieser anzuregen, oder das Spiel „Vote for me“, das Bürger für das Wählen und die Meinungsbildung sensibilisieren will.
Die Präsentation setzte sich mit Moritz Zumbühl vom Blindflug Studios fort, der zunächst anekdotenhaft erzählte, wie das Spiel Sim City seinerzeit dazu beigetragen hatte, dass die Nachfrage nach Stadtplanerausbildungen weltweit zunahm. Danach sprach er über eine Reihe von Projekten, die von Blindflug Studios entwickelt wurden, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, sich mit ernsthaften Angelegenheiten wie beispielsweise Doping, Verschuldung oder erzwungene Migration auseinanderzusetzen. Dabei bleiben diese Spiele aber echte Spiele, und sind nicht etwa nur Sensibilisierungsdienste oder -kampagnen mit spielerischen Komponenten. Moritz Zumbühl, der viel im Bereich der Lernspiele aktiv war, hob auch die Bedeutung davon hervor, dass ein Spiel von einer Offline-Diskussion begleitet wird, beispielsweise im schulischen Umfeld, um wirklich die erwarteten Sensibilisierungs- oder Lerneffekte zu erzielen.
Zum Abschluss präsentierte Qui Cung, einer der Gründer von Oniroforge, einem kürzlich in Freiburg eröffneten Studio, erste Projekte. Dazu zählte eines, das gemeinsam mit einer im Ethikbereich aktiven Vereinigung konzipiert wurde, bei dem es darum geht, sich in die Lage eines Staatsoberhaupts zu versetzen und Entscheidungen zu treffen, die eine Vielzahl von Konsequenzen nach sich führen. Qui Cung gab dann einen Überblick darüber, was den durchschnittlichen Spieler motiviert, in ein Spieluniversum einzutauchen. Dazu gehören der gemeinschaftliche Aspekt, sowohl im Spiel gegeneinander als auch miteinander, der persönliche Ausdruck in Form des Schaffens eines Avatars und der zentrale Aspekt der Herausforderung.
Im Anschluss an diese Vorträge fand eine Gruppendiskussion zwischen den Experten und Mitgliedern des öffentlichen Dienstes statt.
Zunächst ging es dabei um das Spiel im Allgemeinen, als natürlicher Lernprozess, der in der einen oder anderen Form von einem Grossteil der Menschen praktiziert wird. Das Publikum, das man durch dieses Medium erreichen kann, beschränkt sich also nicht auf vorpubertäre Jungen, auch wenn sich dieses Vorurteil hartnäckig hält. Einer der Experten erwähnte in diesem Zusammenhang Zahlen aus den Vereinigten Staaten, wo im Jahre 2016 49 % der regelmässig Spielenden Frauen waren, das Durchschnittsalter der Spielenden bei 37 Jahren lag und die Gruppe mit dem schnellsten Wachstum die Über-70-jährigen waren, da die Senioren sowohl über Zeit als auch über finanzielle Ressourcen verfügten.
Die Nutzung von Spielen bei der Weiterbildung von Angestellten, insbesondere für Ethikfragen oder Datensicherheit, wurde auch diskutiert: haben Spiele einen Platz im Büro? Von einem der Experten wurde eine einfache Parallele angeführt: das Lesen von Zeitschriften, die, je nach den Aufgaben der Person, zur Stellenbeschreibung gehören kann. Letztendlich wäre dies eine Frage von Unternehmensführung und -kultur.
Ein Kernpunkt der Diskussion waren die Risiken für den öffentlichen Sektor bei der Verwendung eines solchen Mediums: die erheblichen Kosten eines hochwertigen Projekts, die aufgrund der Neuigkeit von Spielen in diesem Kontext bislang wenigen Erfolgsgeschichten und je nach Situation die Schwierigkeit, den Impact zu messen.
Tatsächlich sind Spiele, mit Ausnahme ein paar ausserordentlicher Fälle, teuer. Eine öffentliche Institution, die ein solches Projekt beginnt, muss bereit sein, die notwendigen Ressourcen zu investieren, Zeit und Daten beizusteuern und den Unterhaltungsaspekt nicht zu kurz kommen zu lassen, da „Alibi-Spiele“ niemanden täuschen können. Spiele ermöglichen es andererseits, besser als bei einer klassischen Präventionskampagne, Daten zu sammeln und zu messen (man weiss, wer spielt, wie lange, wie oft, mit wem usw...). Um das Risiko zu minimieren, öffentliche Gelder zu verschwenden, ist – wie bei jedem anderen innovativen Unterfangen auch – ein agiler und iterativer Prozess angebracht.
Die Frage des Impacts ist selbstverständlich auch erörtert worden. Der Konsens war, dass es notwendig ist, Forschung und Auswertung zu betreiben, die zwar im Bereich der Serious Games schon systematisch verwendet werden, in der Schweiz aber bislang nur wenig eingesetzt wurden und teuer sind. Weniger kostspielige Lösungen sind beispielsweise ein Fragebogen innerhalb des Spiels oder Aufmerksamkeit für das Feedback der Spieler-Gemeinschaft.
Auf dieser Basis konnten die Experten, Entwickler und Mitglieder des öffentlichen Diensts sich anschliessend über mögliche Synergien und konkrete Projekte austauschen: Verkehrserziehungskampagnen, Hilfe bei der Berufsorientierung, Verhinderung von Risikoverhalten bei Jugendlichen, Spiele, die innerhalb einer Institution bei der Entwicklung einer Kultur der Zusammenarbeit helfen, Sensibilisierung für Geisteskrankheiten, Steuererklärungen in Spieleform, Sprachenlernen usw... Die Ideen der Teilnehmergruppe wurden vom staatslabor aufgezeichnet, das gemeinsam mit dem GameLab der UNIL die Aufgabe übernehmen wird, die verschiedenen Akteure miteinander in Verbindung zu setzen.