Mehr Transparenz durch mehr direkte Kommunikation: Für Organisationskultur-Expertin Vivien Iffländer ist die Gestaltung der physischen Arbeitsumgebung zentral, wenn es um die Zukunft der Arbeit geht - auch in Zeiten der Digitalisierung. Wir sprachen mit der Soziologin vom Center for Responsible Research and Innovation CeRRI des Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) darüber, was das konkret bedeutet und welche Schritte Verwaltungen in Richtung zukunftsfähige Arbeitskulturen einleiten können.
Frau Iffländer, wie kommen wir zur “zukunftsfähigen Arbeitskultur” im öffentlichen Dienst?
Grundsätzlich sollten sich Modelle zukunftsfähiger Arbeitskulturen und Arbeitsplätze immer an den Werten der einzelnen Organisationen orientieren. So geben unsere Forschungsergebnisse Aufschluss darüber, dass sich die Mitarbeitenden aus gutem Grund für eine öffentliche Institution als soliden, stetigen Arbeitgeber entschieden haben und nicht beim hippen Start-Up im Grossraumbüro arbeiten - das hat natürlich Konsequenzen für die Definition einer zukunftsfähigen Arbeitskultur mit passenden Arbeitsplätzen.
Geben Sie uns ein Beispiel aus Ihrer Praxis.
In Berlin entwickeln wir mit der Senatsverwaltung für Finanzen gerade eine passgenaue Arbeitskultur mit entsprechenden Arbeitsplatzmodellen. Wir haben kürzlich die Bedarfserhebung beendet. Dabei haben wir beispielsweise die Belegung und den Leerstand von Arbeitsplätzen erhoben und ermittelt, welche Herausforderungen bei der Zusammenarbeit bestehen.
Nun beginnt die “Transformationsphase”, in der wir die Ergebnisse konkret in Arbeitslandschaften überführen. So entstehen in Pilotabteilungen neue Arbeitsflächen, die für weitere Abteilungen die Vorzüge neuer Formen von Arbeitsorganisation sichtbar machen.
Ein wichtiges Element sind dabei sogenannte floating desks, also Zonen mit flexiblen Arbeitsplätzen, und Begegnungsorte. Das Motto ist mehr Transparenz durch mehr direkte Kommunikation - etwas, das durch Begleitmassnahmen im physischen Raum, aber auch digital gefördert werden soll.
Das Motto ist mehr Transparenz durch mehr direkte Kommunikation - etwas, das durch Begleitmassnahmen im physischen Raum, aber auch digital gefördert werden soll.
Flexible Arbeitsflächen statt Einzelbüros: Das alleine ist vermutlich noch kein ausreichendes Merkmal einer “zukunftsfähigen Arbeitskultur”.
Nein. Aber es ist die räumliche Grundlage, die mehr Kollaboration und Austausch anregt, wodurch Hierarchien und Silos aufbrechen. So reduzieren wir auch die Bedeutung von “Flüsterpost”, also Gerüchten und unvollständigen Informationen. Wenn ich mit meinen KollegInnen zusammen sitze, dann weiss ich eher, was diese tun und erkenne Anknüpfungspunkte für meine eigene Arbeit, als wenn jeder in seinem kleinen Schuhkarton vor sich hin arbeitet.
Wichtig ist: Wir sprechen hierbei nicht von Grossraumbüros, sondern von multifunktionalen Raumkonzepten, die die Qualität der Arbeit erhöhen sollen. Verschiedene Räume mit Bereichen für die ruhige Konzentrationsarbeit aber auch Kreativzonen zum gemeinschaftlichen Denken sollen es ermöglichen, sich flexibel für anfallende Angaben aufzustellen.
Wir sprechen hierbei nicht von Grossraumbüros, sondern von multifunktionalen Raumkonzepten, die die Qualität der Arbeit erhöhen sollen.
Um die MitarbeiterInnen von neuen Arbeitslandschaften zu überzeugen, ist oft der Einsatz eines gewissen politischen Kapitals nötig. Braucht es für die Durchsetzung von flachen Hierarchien eine hierarchische Ansage?
Ich glaube, es braucht beides, sowohl Top-Down-Ansagen als auch Bottom-Up-Entwicklungen. Es braucht den Willen der Führungskräfte, sich auch auf unkonventionelle Arbeitsweisen einzulassen, da Führungskräfte eine Vorbildfunktion einnehmen.
In der Berliner Senatsverwaltung war das Bewusstsein gross, dass eine Top-Down-Einführung von flexiblen Arbeitsplätzen die Mitarbeitenden bevormunden und dadurch auf Widerstand stossen würde. Daher haben wir für die Umsetzung einen ganzheitlichen, partizipativen Ansatz gewählt. Die Mitarbeitenden wurden so zu MitgestalterInnen ihrer Arbeitswelt, weil sie am besten wissen, was sie für gute Arbeit benötigen.
Auch nach der Lancierung war das Commitment der Führungskräfte weiterhin sehr wichtig, um die Umsetzung zu festigen und nach aussen zu tragen. Zudem: Wenn Mitarbeitende tolle Ideen für die Zukunft haben und beginnen ihre Prozesse selber zu gestalten, aber von den oberen Ebenen nicht gehört werden, löst dies Frustration aus.
Eine Weiterentwicklung der Arbeitskultur ist sicherlich ein langer Prozess. Wie wichtig sind Testläufe und Experimente auf dem Weg zu diesen Veränderungen?
Sehr wichtig. Wir haben daher in der Senatsverwaltung mit Pilotabteilungen begonnen. In einem Bereich sind dabei Flächen entstanden, wo Mitarbeitende vielseitige neue Arbeitsformen ausprobieren können - auch jene, die nicht in den Pilotabteilungen sind. Somit können sich Erkenntnisse schnell über das ganze Haus ausbreiten. Zusätzlich evaluieren wir die Nutzung der Fläche und das Erleben der zukunftsfähigen Arbeitskultur.
Natürlich ist auch der Austausch von guten Praktiken über Verwaltungseinheiten hinweg wesentlich. Ein inspirierendes Beispiel für neue Arbeitslandschaften ist für mich Markt Murnau am Staffelsee in Bayern, wo sich auch der Bürgermeister für das Thema engagiert. Das wird dort sehr gut aufgenommen, die Mitarbeitenden sind heute wesentlich zufriedener.
Auf welche Widerstände stossen Sie in Ihren Projekten, und wie gehen Sie damit um?
Es gibt immer Vorbehalte und oft Ängste, die auch ihre Berechtigung haben. Die Leute befürchten typischerweise, dass die Verwaltung zu Google werden würde oder einfach an Einsparungen interessiert sei.
Hier ist ein Vorgehen wie bei der Senatsverwaltung in Berlin angesagt: Keine fixen Konzepte aufzwingen, gemeinsam vorgehen, bedarfsgerecht gestalten. Wenn es beispielsweise in einer Abteilung viele Aufgaben gibt, die Räume für ruhiges Arbeiten erfordern, wird es diese auch weiterhin geben.
Im Grossen und Ganzen funktioniert unser Ansatz bisher gut. Wenn Sie darauf achten, gut zu kommunizieren und Vertrauen zu schaffen, verstehen die Mitarbeitenden schnell, dass es nicht darum geht, Fläche zu sparen, sondern die Arbeitsqualität zu verbessern.
Wenn Sie darauf achten, gut zu kommunizieren und Vertrauen zu schaffen, verstehen die Mitarbeitenden schnell, dass es nicht darum geht, Fläche zu sparen, sondern die Arbeitsqualität zu verbessern.
Neben Kommunikation und vertrauensbildenden Massnahmen: Wie kann eine Verwaltung noch sicherstellen, dass die Gestaltung von zukunftsfähigen Arbeitsplätzen gelingt?
Die Gestaltung der Arbeitswelten im öffentlichen Dienst ist grundsätzlich ein Organisationsentwicklungs- und damit auch ein Change-Thema. Wir wenden daher einen ganzheitlichen Ansatz an, bei dem die Arbeitslandschaften als Unterstützungswerkzeug für die Etablierung einer zukunftsfähigen Arbeitskultur zu verstehen sind. Denn nur, wenn Arbeitskultur und Arbeitsplätze zusammenpassen, werden sie auch mit Leben gefüllt. Somit muss das Thema auch strategisch behandelt und entsprechend institutionell verankert sein.
Wichtig ist aber, dass alle zuständigen Stellen mitwirken, denn man benötigt natürlich die Expertise im Bereich Digitalisierung, Beschäftigungsmodelle, Beschaffung und so weiter. Es müssen also die relevanten Akteure am Tisch sitzen. Denn sonst hat man ganz tolle Konzepte, die am Ende irgendwo hängen bleiben, weil sie aus einer der Perspektiven nicht umsetzbar sind.
Inwiefern spielt in Ihren Projekten die digitale Transformation der Arbeit eine Rolle?
Digitalisierung ist für uns zuerst eine Frage der Arbeitskultur, aus der sich dann die tatsächliche Nutzung von Technologien und Software ergibt. Um dies konkret anzugehen, erarbeiten wir mit den Verwaltungen in der Praxis Beispiele, welche Herausforderungen und Chancen sie im digitalen Arbeiten sehen. So erkennen die Akteure, welche Software Lösungen es braucht, um die Arbeitskultur zu unterstützen und Prozesse zu verschlanken.
Konkret heisst das, um eine zukunftsfähige Arbeitskultur zu erreichen, müssen entscheidende Stellhebel umgelegt werden. So ist die Entscheidung zwischen Präsenz- und Ergebniskultur beispielsweise eine wichtige: Messen wir Mitarbeitende nach wie vor daran, wie lange sie im Büro sitzen oder doch eher an den Resultaten, die sie - wie und wo sie es bevorzugen - erarbeiten können?
Digitalisierung ist für uns zuerst eine Frage der Arbeitskultur, aus der sich dann die tatsächliche Nutzung von Technologien und Software ergibt.
Fragen der Arbeitskultur sind auch hinsichtlich des Fachkräftemangels ein wichtiges Thema. Die Verwaltung sieht sich plötzlich vor der Herausforderung, mit Unternehmen um die besten Arbeitskräfte konkurrieren zu müssen. Daraus ergibt sich die Herausforderung, Kernwerte herauszustellen und zu transportieren, aber dabei gleichzeitig am Puls der Zeit zu bleiben - eine Spannung, die sich letztlich eben immer auch in der zukunftsfähigen Arbeitskultur manifestiert.
Frau Iffländer, vielen Dank für das Gespräch.
Vivien Iffländer ist Senior Expert Organisational Culture am Center for Responsible Research and Innovation des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Die Soziologin forscht im Team Unternehmenskultur und Transformation zu zukunftsfähigen Arbeits- und Unternehmenskulturen und begleitet Unternehmen bei organisationskulturellen Veränderungsprozessen. Aktuelle Schwerpunkte sind die Rolle der Unternehmenskultur in digitalen Transformationsprozessen und die Implementierung diversitygerechter Arbeits- und Unternehmenskulturen.
Mehr Informationen zum Projekt in der Berliner Senatsverwaltung: