Gemeinsam mit den Gleichstellungsfachstellen von Stadt und Kanton Bern entwickeln wir eine Plattform für betriebliche Gleichstellung. Dabei beziehen wir Unternehmen von Beginn weg in die Entwicklung mit ein. Worum geht es bei diesem Projekt, das die Berner Stadtregierung nun offiziell in ihrem Aktionsplan Gleichstellung 2019-2022 verankert hat? Lest hier unseren kurzen Erfahrungsbericht.
Die Herausforderung: Gleichstellungsangebote aus Sicht der NutzerInnen in Unternehmen entwickeln
Es fehlt heute in der Schweiz nicht an Instrumenten, Ansätzen und Angeboten zur Gleichstellungsförderung in Unternehmen. Das Thema Gleichstellung wird hierzulande vom 1988 gegründeten Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) und von den über 20 kantonalen und kommunalen Gleichstellungsbüros mit viel Energie vorangetrieben. Betriebliche Gleichstellung ist dabei ein wichtiger Schwerpunkt.
Gerade in einem Feld mit beschränkten Mitteln wie der Gleichstellung ist es zentral, mit den verfügbaren Ressourcen eine möglichst grosse Wirkung zu erzielen. Dafür braucht es Angebote, die möglichst gut auf die NutzerInnen zugeschnitten sind.
Das ist nicht immer gegeben: So hat eine Studie im Auftrag der Fachstellen für die Gleichstellung von Frau und Mann in Stadt und Kanton Bern ergeben, dass Unternehmen Angebote der Gleichstellungsbehörden oft nicht kennen oder sie selten in Anspruch nehmen - ein Resultat, das die langjährige Erfahrung der beiden Fachstellenleiterinnen, Barbara Krattiger und Barbara Ruf, bestätigt.
Die erwähnte Studie hat hervorgebracht, dass es den Betrieben vor allem am praktischen Austausch untereinander fehlt, um konkrete Gleichstellungsherausforderungen anzugehen: Welche Massnahmen für gleichen Lohn gibt es in Berner Betrieben? Wie schaffen andere familienfreundliche Arbeitsbedingungen? Wie können wir faire Bewerbungsprozeduren umsetzen und Stellen so ausschreiben, damit sich mehr Frauen bewerben?
Den Weg zur Plattform entwerfen: Vision und Vorgehen definieren
Mit der skizzierten Herausforderung im Blick begannen wir im Frühjahr 2019 eine enge Zusammenarbeit mit der städtischen und der kantonalen Fachstelle für Gleichstellung in Bern. Die Vision war, mehr Hands-On Austausch zwischen Unternehmen zu betrieblichen Gleichstellungsfragen ermöglichen - und zwar durch eine Plattform, die Unternehmen hilft, gemeinsame Lösungen zu entwickeln.
Es war von Beginn weg klar, dass wir in der Entwicklung eines solchen Angebots nicht nur bei den Inhalten, sondern auch bei den Formaten nutzerzentriert vorgehen wollten - Unternehmen sollten nicht nur Lösungen zu erarbeiten, sondern bereits die Form des Austauschs untereinander mitgestalten können. Ein solches Vorgehen ist internationaler State-of-the-Art im nutzerzentrierten Design öffentlicher Dienstleistungen: Der Startschuss zum Handeln gibt kein minutiös ausgearbeitetes Projektkonzept, sondern eine gemeinsame Vision.
Damit legten wir im März 2019 den Grundstein für eine Reihe von interaktiven Arbeitsmeetings um gemeinsam zu entwickeln, wie diese neue Unternehmensplattform konkret entstehen sollte. Im Juni hatten wir ein Workshop-Format für dein Einbezug von Unternehmen definiert, die wichtigsten Unternehmenskontakte im Netzwerk der beiden Stellen identifiziert, die für ein solches Experiment zu haben sein könnten und vereinbart, wie die Aufgabenteilung zwischen den Stellen und uns aussehen sollte.
Unsere erste Projektidee hat im Austausch mit dem staatslabor rasch Form angenommen und Schwung gekriegt.
Barbara Ruf, Leiterin Gleichstellungsfachstelle Kanton Bern
Die Plattform gestalten: Die Zielgruppe kommt hinzu - und definiert ihr Austauschformat selber
Im Spätsommer begann mit dem Unternehmens-Workshop die nächste Projektphase. Ende August fanden sich fünfzehn VertreterInnen aus der Praxis zusammen, um gemeinsam über Struktur und Format der Plattform nachzudenken und die nächsten Schritte zu planen.
In gemeinsamer Arbeit mit VertreterInnen von Bosch, Bernmobil, Helsana, dem Inselspital, des HR Verbands Bern, der Stadt Thun, der Finanzdirektion des Kantons Bern und diversen Bundesämtern wurde so die Idee eines jährlichen Zyklus von Unternehmensworkshops entwickelt, der ab Winter 2019 stattfinden soll und drei Eigenschaften vereint:
- Konkret: Im Austausch miteinander, mit Fachpersonen und mit MacherInnen erarbeiten die Teilnehmenden praktische Lösungen für ihre Gleichstellungsherausforderungen im Betrieb. Sie teilen, vergleichen und erweitern diese Lösungen gemeinsam.
- Umsetzungsorientiert: Der Austausch innerhalb der Gemeinschaft und eine Hotline zu den Fachstellen begleiten die Teilnehmenden auch zwischen den Workshops. Die Unternehmen spornen sich in einer Art kollaborativem Wettbewerb untereinander an, innovative Lösungsansätze zu erproben.
- Kooperativ: Der Workshop-Zyklus soll ein Produkt der Teilnehmenden sein. Um die Plattform lösungs- und umsetzungsorientiert zu gestalten, wird auch nach der Entwicklungsphase weiterhin mit einem konsequenten Co-Design-Ansatz gearbeitet.
Die am Workshop anwesenden Unternehmen übersetzten also mit der Wahl dieses Formats die Grundsätze, mit der sie selber am Design der Plattform beteiligt wurden, direkt in die DNA der Plattform an sich.
Vier Voraussetzungen: Reflexionsbereitschaft, Lizenz zu Wagemut, Augenhöhe und Verankerungsmöglichkeiten
Die beiden Berner Gleichstellungsfachstellen haben sich mit uns auf einen Weg begeben, dessen Ziel und Verlauf nicht bereits von Beginn weg klar war. Dabei haben sie bewiesen, dass sich Verwaltungen agil bewegen und innovative Ansätze zur Lösung einer gesellschaftlichen Problems entwickeln können, ohne schon ein bis ins letzte Detail ausformuliertes Umsetzungskonzept vorliegen zu haben.
Die gemeinsame Projektentwicklung verlief intensiv, verlässlich und schaffte einen echten Mehrwert. Das ist viel versprechend im Hinblick auf die künftige Zusammenarbeit.
Barbara Krattiger, Leiterin Gleichstellungsfachstelle Stadt Bern
Aus unserer Sicht zeigt die Erfahrung in Bern, welche vier Faktoren für einen solchen Prozess besonders wichtig sind:
- Reflexionsbereitschaft: Es braucht einen gemeinsamen Werte- und Methodenkompass sowie die Bereitschaft zur offenen Reflexion von Erwartungen, Prozessen und Ungewissheiten. Das wiederum braucht immer auch Mut und ein vertrauensvolles Verständnis der gemeinsamen Arbeit im Team - egal, aus welchem Sektor und welcher Institution die Beteiligten stammen.
- Lizenz zu Wagemut: Die Frage, wie man sich als Verwaltungseinheit Freiräume schafft und eine “Lizenz zu Wagemut” entwickelt, sollte unbedingt zum Beginn des Prozesses adressiert werden: Braucht es den Support der Hierarchie? Darf man einfach vorwärts gehen und kann man sich den Support mit guten Resultaten auch danach holen? Die Antworten darauf werden in jedem Setting anders ausfallen.
- Augenhöhe: Sobald Zielgruppen in einen nutzerzentrierten Prozess hinzukommen ist es zentral, dass Verwaltungen nicht als Gastgeber oder Gönner eines Beteiligungsprozesses auftreten, sondern als Teilnehmende auf Augenhöhe. Und: Dafür kann es äusserst hilfreich sein, dass auch jüngere Mitarbeitende von Verwaltung mit dabei sind und ihre Perspektiven gleichberechtigt mit den “Seniors” einbringen.
- Verankerungsmöglichkeiten: Jeder Pilot wird sich später daran messen müssen, was übrig bleibt. Das können neue Erkenntnisse, neue Kompetenzen oder eine nachhaltige Verankerung im ordentlichen Geschäftsverlauf einer Verwaltung sein. Letzteres ist in Bern tatsächlich bereits geschehen: Die Stadtregierung hat das Projekt vor kurzem offiziell als Massnahme in ihrem Aktionsplan Gleichstellung 2019-2022 verankert.
Menschen wollen bei Themen, die sie betreffen, miteinbezogen werden. Die Entwicklung einer Gleichstellungsplattform mit Fachstellen und Unternehmen in Bern zeigt: Je attraktiver das Format, desto grösser die Wahrscheinlichkeit einer nachhaltigen Beteiligung, die Resultate zeigt.