Time to grow up: Es ist Zeit für Digitale Politische Philosophie

Bild Antikes Griechenland

In der digitalen Transformation unterscheidet man verschiedene Reifegrade. Bei der Diskussion um Smart Government verliert man sich aber immer noch zu fest in Einzelprojekten, statt den konzeptionellen Überbau und die Grundlagen für den digitalen und demokratischen Staat zu schaffen.

von Nicolas Zahn

Was ist Demokratie? Was macht den "guten" Staat aus? Darüber haben sich viele Leute über lange Zeit den Kopf zerbrochen - und viele Kriege geführt - bis wir das "Erfolgsmodell" des heutigen Staates hatten. Doch diese grundlegenden Überlegungen zu Gewaltenteilung, Volksrechten, Checks & Balances etc. liegen nun auch schon wieder Jahrhunderte zurück. Konzeptionell hat es nach der Aufklärung nur wenige Neuerungen gegeben, auch in der Schweiz berufen wir uns trotz Totalrevision der Verfassung auf grundlegende Ideen von 1848 und dies im 21. Jahrhundert.

Mit der Vielzahl neuer technischer Möglichkeiten, privaten Alternativen und Konkurrenten zu gewissen staatlichen Dienstleistungen und neuen Bedürfnissen der Bevölkerung hat sich die Digitalisierung der Verwaltung schon lange vom Gimmick zur Notwendigkeit gewandelt.
Die Schweiz trägt diesem Umstand, genauso wie andere Nationen, Rechnung, indem sie sich verschiedene Projekte und Programme, Strategien und Organisationen für die digitale Transformation der Verwaltung gönnt und mit immer mehr Projekten auch Erfolge feiert bzw vielversprechende Projekte angestossen werden.

Egal ob im öffentlichen oder im privaten Sektor unterscheidet man bei der digitalen Transformation verschiedene Reifegrade. Der erste Schritt - die Digitalisierung - ist dabei die Abbildung eines analogen Prozesses in der digitalen Welt, die bekannte Umwandlung des Formulars in ein PDF. Wie sich langsam gezeigt haben sollte, ist diese erste Reifephase nicht besonders interessant. Interessanter wird es in höheren Reifegraden, wenn es wirklich um die Transformation geht und Prozesse komplett neu gedacht werden auf Basis der digitalen Technologien. Muss ich tatsächlich weiterhin ein Formular ausfüllen, egal ob analog oder digital, oder kann das ganze einfacher durchgeführt werden, z.B. durch intelligentes Verknüpfen von Datenbanken und automatisierten Prozessen?

Der Digitale Staat ist mehr als der digitalisierte Staat

Zum Glück befinden sich immer mehr Projekte der digitalen Verwaltung in diesem höheren Reifegrad, wo nach neuen Prozessen statt reiner digitaler Abbildung gesucht wird. Doch ein Grossteil der Arbeit fokussiert sich immer noch auf versprengte Teilprojekte, die das grosse Ganze auslassen. Wir stellen uns noch zu wenig die Frage, was einen digitalen Staat ausmacht und geben uns damit zufrieden, einen Teilaspekt wie z.B. eine Fachanwendung zu digitalisieren.

Doch diese Sichtweise ist aus zwei Gründen problematisch: Erstens stellen sich immer mehr grundsätzliche Fragen, wie der digitale Staat aussehen soll. Bleiben diese Fragen – von Aufgabenteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft, digitaler Infrastruktur, Datenaustausch und digitale Grundrechte – ungeklärt, schwelen diese ungelösten Fragen weiter vor sich hin. Der entsprechende Ärger wird sich bei einzelnen Projekten der digitalen Verwaltung, egal ob e-Voting, e-ID oder EPD immer wieder entladen und könnte die Bevölkerung vor den Kopf stossen und die erfolgreiche digitale Transformation der Verwaltung entsprechend verhindern.

Zweitens dürfen wir nicht vergessen, dass neben liberalen Demokratien auch andere Entwürfe für die staatliche Ordnung existieren und sich diese meist autoritären Staaten Überlegungen zum digitalen Staat gemacht haben. So kommt der liberale Staat in der digitalen Welt sowohl unter Druck von autoritären Regimen (https://schweizermonat.ch/liberal-digital-vier-probleme-vier-loesungen/) als auch von Gruppierungen, welche das Konzept eines Staates prinzipiell ablehnen und im "Network State" alle staatlichen Dienstleistungen durch privatisierte Technologiefirmen erbringen wollen (https://america2.news/decoding-the-network-state/), siehe hierzu auch das neue Buch von Marietje Schaake – The Tech Coup – über die Herausforderung von Demokratien im Umgang mit Technologiekonzernen. Beides sind Visionen, die uns auch in der Schweiz wachrütteln sollten. Wir müssen eine digitale politische Philosophie entwickeln, die eine Vision für den liberalen digitalen Staat aufzeigt und dabei auch vor institutioneller Reform angesichts des technologischen Wandels nicht zurückschreckt.