Frau della Valle, das staatslabor freut sich sehr, Ihnen ein paar Fragen zu den Themen Innovation und Zusammenarbeit bei fedpol, dessen Direktorin Sie seit Sommer 2014 sind, stellen zu dürfen. Vom damaligen Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) über die Universitären Psychiatrischen Dienste des Kantons Bern (UPD) bis hin zum Generalsekretariat des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) haben Sie schon zahlreiche Behörden von innen erleben dürfen. Was sind die Besonderheiten von fedpol im Hinblick auf die Einführung innovativer Lösungen und neuer Technologien?
Zunächst einmal muss man feststellen, dass das Konzept von Innovation in der Bundesverwaltung ein völlig anderes ist als bei einem Start-up-Unternehmen. Was bei ihnen als innovativ gilt, ist bei uns oft schlicht undenkbar. Umgekehrt wäre das, was bei uns als Innovation zählt, bei ihnen auf der Stufe des Tagesgeschäfts.
Trotzdem habe ich bei meinen bisherigen Mandaten immer versucht, neue Initiativen zu starten, und das ist jetzt noch stärker der Fall. Eine Polizei muss immer Innovation betreiben: Die Bedingungen verändern sich ständig und schnell, die Kriminellen sind kreativ und nutzen weitgehend neue Technologien. Wenn wir stagnieren und uns nicht innovationsfähig zeigen, können wir unsere Arbeit nicht machen und unserem Mandat nicht nachkommen. Kann man deshalb von Innovation reden? Das kommt ganz auf die Perspektive an.
Welche Unterschiede sehen Sie zwischen den Behörden, in denen Sie zuvor aktiv waren, und fedpol?
Ich sehe eher Parallelen, und zwar was den operativen und konkreten Aspekt angeht. Ich habe meine Laufbahn im ehemaligen Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) begonnen, und wenn dort entschieden werden musste, ob ein Kanton eine bestimmte Waldfläche fällen durfte, um dort Skilifte zu bauen, hatten eine Genehmigung oder eine Ablehnung sehr konkrete Auswirkungen. Genauso lassen sich Ähnlichkeiten zwischen dem Klinikwesen und der Polizei sehen. Bei beiden hat Arbeit, die besser oder schlechter verrichtet wurde, sehr direkte Konsequenzen: Weder bei Patienten noch bei Notfällen kann man sich Nachlässigkeit erlauben. Es war bei all den Positionen, die ich innehatte, so, dass man für seine Arbeit eine direkte Rückmeldung bekam und deren Auswirkungen klar sehen konnte, und das ist etwas, was ich immer gesucht habe. Ich wollte aktiv etwas beitragen und einen Unterschied bewirken.
Bei welchen kürzlichen Herausforderungen mussten Sie bei fedpol eine andere Denkweise anwenden oder neue Ansätze einführen? Worum handelte es sich bei diesen Ansätzen?
Ein erster Ansatz, der eine Reihe von Herausforderungen angeht, ist es, fedpol wie ein Privatunternehmen zu führen, das sich darüber bewusst ist, woher seine Ressourcen stammen und wie diese bestmöglich investiert werden können. Gerade dieser letzte Punkt ist alles andere als offensichtlich, da der kausale Zusammenhang oft komplex ist: Hat es in der Schweiz keine Attentate gegeben, weil wir beträchtliche Summen in ein bestimmtes Programm investiert haben? Liegt es an unserer Arbeit? Oder an externen Faktoren? Wenn es sich bei dem Produkt der Arbeit um Sicherheit handelt, und nicht etwa um Tische oder Stühle, ist die Frage nach der Kapitalrendite nicht so leicht zu beantworten. Selbst wenn wir keinen Gewinn zu erwirtschaften brauchen, müssen wir uns also dennoch fragen, welche Bedürfnisse es gibt und wie wir diese mit unseren Ressourcen bestmöglich erfüllen können – und Dinge nicht einfach auf eine bestimmte Art und Weise tun, weil sie schon immer so gehandhabt wurden. Dieser Ansatz mag in einem Unternehmen der Privatwirtschaft als selbstverständlich gelten, für fedpol als Teil der Bundesverwaltung stellt er aber eine grosse Veränderung dar.
Ein zweiter Ansatz war es, in den letzten Jahren unsere Arbeit sichtbar und verständlich zu machen. Die Aufgaben, die wir zu erfüllen haben, stehen immer im Vordergrund. Aber anschliessend gilt es zu erklären was wir machen, damit die Politik versteht wo das Budget hinfliesst und die Bürger, die uns finanzieren, über unsere Aktivitäten und Methoden Bescheid wissen. Diese Kommunikationsarbeit ist neu und spielt eine wichtige Rolle für das Vertrauen und das subjektive Sicherheitsempfinden. Was fedpol tut, was es nicht tut, wie, mit welchen Mitteln... Wir haben beispielsweise einen beeindruckenden Expertenbericht, wie man diese in der Bundesverwaltung oft anfindet, in Form eines Flyers herausgegeben. Dieser Flyer, der in der Schweiz momentan stark genutzt wird, zerlegt auf sehr anschauliche Weise den komplexen Prozess der Terrorismusbekämpfung in seine einzelnen Phasen und zeigt so die Vielfalt der betroffenen Akteure auf. Das war auch kein einfaches Unterfangen: Unsere Spezialisten schreiben Berichte von sehr hoher Qualität, und wenn man diese übermässig popularisiert, kann das leicht den Eindruck erwecken, dass man Seriosität und Detailgrad dieser Berichte schmälert. Es hat sich aber als grosser Erfolg erwiesen, die Arbeit dieser Spezialisten einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dies bezeichnen wir – bei uns – als Innovation, da wir etwas Neues ausprobiert haben, was wirkliche Folgen gezeitigt hat.
Zu einem ganz anderen Thema: Sind die von der künstlichen Intelligenz gebotenen Möglichkeiten für Sie ein Thema? Welches Potenzial sehen Sie dort?
Da sprechen Sie ein Thema an, was für uns von grosser Wichtigkeit ist. Im Grunde bleibt die Aufgabe der Polizei immer die gleiche: Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mit mehr und mehr verfügbaren Daten wird dieser Heuhaufen aber immer gewaltiger, sodass es eine neue Art und Weise braucht, diese Nadel zu suchen. Der ehemalige FBI-Direktor hat dies auf sehr anschauliche Weise beschrieben: Als Pferde das einzige Transportmittel waren, spielte die Kriminalität sich im Radius eines Tagesritts ab. Das Auto hat diesen Radius vergrössert, und heutzutage ist die Kriminalität gar international und in der virtuellen Welt aktiv. Diese virtuelle Welt ist Schauplatz für alle Arten an Aktivitäten, vom An- und Verkauf von Gegenständen bis hin zu Treffen, und natürlich auch für alle Arten an kriminellen Aktivitäten, von der Radikalisierung bis hin zum Phishing. Und diese Kriminalität in der virtuellen Welt führt zu Schäden, die wiederum durchaus real sind. Die Polizei muss also vor Ort sein und über die Mittel verfügen, mit denen sie in dieser Welt effektiv handeln kann.
Denn genau wie wir auf der Strasse Autos brauchen, brauchen wir in der virtuellen Welt die passenden Werkzeuge, darunter vor allem die Datenanalyse. Und hier kommen wir auf die künstliche Intelligenz zurück: Es ist unabdingbar, dass die Polizisten und Polizistinnen bei ihrer Analysearbeit auf die Unterstützung intelligenter Hilfsmittel zurückgreifen können, um die enorme Masse an Daten abgleichen zu können. Wir stehen also vor mehreren Herausforderungen: Zunächst einmal jener der Gesetzgebung, die an die aktuellen Gegebenheiten in Bezug auf Daten angepasst werden muss. Früher war es so, dass Daten in verschiedenen Schubladen steckten und der Zugang zu ihnen nur einem bestimmten Personenkreis offen stand. Heutzutage ist es aber möglich, diese Daten zusammenzuführen, um grösseren Nutzen aus ihnen zu ziehen, und den Zugang vor allem für die polizeiliche Arbeit auf zufriedenstellende Weise zu regeln. Eine Gesetzgebung zu erreichen, die den aktuellen Gegebenheiten und der verfügbaren Technologie entspricht, stellt allerdings eine grosse Herausforderung dar, denn einem Teil der Politik ist noch gar nicht bewusst, um was es in der virtuellen Welt geht.
Und wenn die Polizei damit anfängt, von Hilfsmitteln für die Analyse grosser Datenmengen zu reden, macht das den Menschen Angst, obgleich das im privaten Bereich schon seit Jahren eine gängige Praxis ist: Wenn ich auf eine eCommerce-Seite gehe, wird sofort eine Werbung im Zusammenhang mit diesem Besuch in meinem Facebook-Feed eingebaut. Es ist oft schwierig zu erklären, dass es auch der Polizei gestattet sein muss, im Dienste des Gemeinwohls Nutzen aus diesen Technologien zu ziehen.
Die künstliche Intelligenz ermöglicht es uns obendrein, wirklich proaktiv zu handeln. Die alte Vorstellung von Polizei beruhte darauf, dass man wartete, bis ein Verbrechen begangen wurde, und dann den Schuldigen suchte. Dank der Datenanalyse können wir aber schon vorher anfangen, indem wir Risiken bewerten: Wir sind mit der Vorgehensweise von Kriminellen, die aus einem Hotelzimmer in Singapur Bankkonten in der Schweiz plündern, vertraut. Wenn man dann eine intelligente Analyse gut verwalteter Daten durchführen kann, lassen sich manche Verbrechen wirklich verhindern.
Wie steht es in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern um dieses Thema?
Zunächst einmal sehen wir uns hier noch einer Reihe an Herausforderungen ausgesetzt.
Da ist zunächst wie bereits erwähnt die Gesetzgebung zu nennen, die mit der Zeit gehen muss.
Dann wären da die Ressourcen, um die richtigen Werkzeuge zu beschaffen und um die Mitarbeiter zu schulen. Fedpol ist eine Behörde, in der Menschen verschiedener Generationen zusammenarbeiten, Digital Natives genauso wie Menschen meiner Generation, und die Online-Arbeit muss für alle zu einer Selbstverständlichkeit werden. Und wenn mithilfe der neuen Technologien bessere Analysen möglich sind und mehr Verbrechen aufgeklärt werden können, dann nimmt der Ressourcenbedarf nicht etwa ab – ganz im Gegenteil.
Schliesslich möchte ich noch ein weiteres Thema erwähnen, dass mir sehr wichtig erscheint und bei dem wir, in der Schweiz wie im Ausland, noch zu wenig aktiv sind: Das Internet der Dinge. Natürlich mache ich mir dabei nicht Sorgen um intelligente Kühlschränke, sondern um die Angreifbarkeit unserer Infrastruktureinrichtungen, von unseren Zügen bis hin zu unserer kritischen Infrastruktur, die potenziell gefährdet sind, und um neue Arten der Kriminalität.
Ist die Funktionsweise Ihrer Behörde in bestimmten Punkten von Methoden aus dem Ausland inspiriert worden? Wenn ja, von welchen?
Absolut. In einer Zeit, in der Kriminalität fast immer eine internationale Komponente hat, stehen wir im permanenten Austausch mit unseren Kollegen im Ausland. Insbesondere, was den Terrorismus angeht, zeigen diese sich sehr aufgeschlossen, Lehren aus Krisensituationen zu ziehen, wodurch wir lernen und uns fragen können, wo sich auch bei uns entsprechende Verbesserungspotenziale befinden. Ebenso können wir sehen, wo die anderen uns voraus sind, wie beispielsweise die Niederländer, was Technologie und ihre Arbeitsweise angeht. Die Zusammenarbeit mit dem Ausland ist somit ein echter Bestandteil der DNA bei fedpol.
Ist es in einem besonders exponierten Umfeld möglich oder überhaupt wünschenswert, eine Kultur zu schaffen, wo Fehler als wichtig für den Fortschritt angesehen werden?
Eine Auffassung der Arbeit, laut derer Fehler um jeden Preis vermieden werden müssen, wäre nicht umsetzbar. Gelegentliche Fehler kommen bei unserer Arbeit vor, auch wenn wir eine gründliche Analyse der Risiken vornehmen. Und auch wenn es natürlich auch mal zu inakzeptablen Fehlern kommen kann, wollen wir doch eine Kultur schaffen, in der man vorankommt und in der der Mut, eine Entscheidung zu treffen, belohnt wird. Ein Umfeld, in dem man aus Fehlern lernen und sich so verbessern kann. Das ist der Grund, warum ich 2014 mit meinem Team ein Programm mit dem Namen „Improve“ gestartet habe, das auf der japanischen Philosophie des Kaizen („Wandlung zum Besseren“) beruht. Dieses wurde im unternehmerischen Umfeld durch Toyota berühmt. Wenn ein Fehler gemacht wurde, gibt es eine Besprechung und Erfahrungsaustausch dazu, wodurch sich alle weiterentwickeln können.
Der Mehrwert liegt also darin, sich beständig verbessern zu können, und sich immer vor Augen zu halten, dass man sich in einer Welt, die sich stetig weiterentwickelt, nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen kann – man ist nie gut genug. Das ist anstrengend und manchmal stressig, dessen bin ich mir schon bewusst. Aber die tolle Vielfalt an Kollegen und Kolleginnen, sowohl in Hinsicht auf Bereiche, Profile, Sprache als auch Erfahrung, die wir bei fedpol haben, bietet uns ein günstiges Umfeld, um gemeinsam zu lernen und uns weiterzuentwickeln.
Welche gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen haben seit der Gründung von fedpol im Jahre 2000 den Betrieb Ihrer Behörde beeinflusst?
Die Prioritäten bei fedpol spiegeln die Art und Weise, auf die die Welt sich entwickelt, wider. Vor zehn oder zwanzig Jahren gab uns die Kriminalität im Zusammenhang mit dem Drogenschmuggel zu tun. Heutzutage hat die Entwicklung der virtuellen Welt dazu geführt, dass Cyber-Kriminalität zu einem unserer Hauptanliegen geworden ist. Und selbstverständlich auch der Terrorismus, der uns in der Schweiz zwar nicht unbekannt war, damals aber noch von einem völlig anderen Format war. Dazu kommen noch die organisierte Kriminalität und der Menschenhandel. Die internationalen und über das Internet laufenden Vorgehensweisen verlangen uns grosse Veränderungen ab.
2014 haben Sie Ihre Abneigung gegenüber der Arbeit in Silos kundgetan. Wie macht sich das heute bemerkbar? Was würden Sie Behörden raten, die Schwierigkeiten haben, sich von diesem Silobetrieb loszusagen?
Was das angeht, haben wir verstanden, dass eine Einrichtung sich nicht isoliert mit einer Situation beschäftigen kann. Wir haben dann sowohl Menschen als auch Einrichtungen daran gewöhnen müssen, miteinander zusammenzuarbeiten. Diese Funktionsweise ist immer noch recht jung, sodass sie manchmal noch etwas Aufsicht erfordert. Manchmal lasse ich Akten wieder zurückgehen, wenn ich sehe, dass die notwendige Zusammenarbeit nicht stattgefunden hat. Aber langsam gewöhnen sich die Leute daran, und wenn die Zusammenarbeitenden erst einmal feststellen, dass dies besser funktioniert und die Dinge so schneller vorwärtskommen, haben sie auch mehr Freude an der Arbeit.
Ein weiteres wichtiges Element ist es, die Menschen für Diskussionen an einen Tisch zu bringen. Unser bestes Beispiel für ein aufgebrochenes Silo ist das der operativen Zusammenarbeit der TETRA („Terrorism Tracking“): Wir haben die Nachrichtendienste, fedpoli, die Kantone, die Bundesanwaltschaft und den Grenzwachtkorps an einen Tisch gebracht. Das war 2014 noch völliges Neuland.
Bei solchen Dingen ist es nie leicht, Rat zu geben, da jede Behörde anders funktioniert. Aber am wichtigsten erscheint es mir, dass die eigene Organisation eine Rolle einnimmt, die von ihrer Mission, ihren Aufgaben und der Art, wie sie für diese zusammenarbeitet, anstatt aufzuzählen, wofür diese Abteilung und wofür jenes Kommissariat verantwortlich sind. Die Fahndung beispielsweise betrifft zahlreiche Einheiten. Der Hang, die Aufgaben der eigenen Abteilung aufzuzählen, hält sich aber hartnäckig – was ganz natürlich ist, da dies es den betroffenen Angestellten erlaubt, Nachweise für ihre Arbeit zu erbringen und als Individuen sichtbar zu sein. In früheren Jahresberichten wurde klar aufgezeigt, welche Abteilung was getan hat. Das ist heutzutage nicht mehr der Fall - es ist einfach fedpol. Wir haben eine gemeinsame Identität, unter der wir arbeiten und als welche wir kommunizieren. Denn es ist das Bundesamt als Ganzes, das Ergebnisse liefert, und das teilweise sogar mit anderen Organisationen zusammen.
Es gibt hier kein einheitliches Erfolgsrezept. Für mich scheint es aber ein zentraler Bestandteil zu sein, von Aufgaben und Prozessen anstelle von Einheiten zu reden.
Und dann muss man mit gutem Beispiel vorangehen. In der Direktion des Bundesamts haben wir eine klare Richtlinie, was die Notwendigkeit der Zusammenarbeit und die gemeinsame Lösung von Problemen angeht. Wenn ich gut mit dem Bundesanwalt oder dem Chef des Nachrichtendiensts zusammenarbeite, kriegen die Mitarbeiter das mit. Was man von anderen fordert, muss man auch selbst erbringen.