Datenpolitik in der Schweiz: eine Bestandsaufnahme mit André Golliez, Präsident der Swiss Data Alliance

André Golliez

Lieber André, wir freuen uns sehr, dass du am kommenden Donnerstag in unserer staatskantine zum Thema Open Data zu Gast sein wirst. Gerne nutzen wir die Gelegenheit, dir hier bereits einige Fragen zu stellen. Seit März 2017 bist du Präsident der neu gegründeten Swiss Data Alliance. Kannst du unseren Leser/innen einen kurzen Überblick über die Akteure im Bereich Datenpolitik in der Schweiz geben und uns erklären, welche Rolle die Allianz dabei spielt?
 
Die Swiss Data Alliance setzt sich für eine konstruktive Datenpolitik in der Schweiz ein – was ist darunter zu verstehen? Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass die Schweiz aus den hier so reichlich vorhandenen Daten viel zu wenig Nutzen zieht. Das wollen wir ändern. Anstatt über die Dominanz der globalen Datenkonzerne wie Google, Facebook und Amazon zu jammern, fördern wir die konstruktive Nutzung der Daten in der öffentlichen Verwaltung, in der Privatwirtschaft, in der Forschung sowie in Bildung und Kultur für Innovation, mehr Effizienz und neue Erkenntnisse. Dabei sollen die Interessen der Unternehmen, der betroffenen Personen sowie der Öffentlichkeit gleichermassen berücksichtigt werden.

Es scheint in der Schweiz ja derzeit eine erfreuliche Bewegung rund um das Thema Datenpolitik zu geben. Welche weiteren wichtigen Akteure gibt es und wie unterscheiden sich diese von der Swiss Data Alliance?

Das ist richtig. Das Thema Datenpolitik kommt in der Schweiz langsam in die Gänge und das ist erfreulich. Der Bund arbeitet im Rahmen der Strategie für eine digitale Schweiz an einer Datenpolitik des Bundes, welche dem Vernehmen nach im Mai publiziert werden soll, und der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse hat soeben ein Positionspapier zur Datenpolitik veröffentlicht. Die öffentliche Verwaltung und die Privatwirtschaft sind zwei wichtige Akteure der Datenpolitik, da der grösste Teil der Daten von privaten Unternehmen und vom Staat verwaltet wird. Die Rolle der Swiss Data Alliance besteht darin, die verschiedenen Stakeholder für konstruktive Lösungen zur gemeinsamen Datennutzung zusammen zu bringen. In Bezug auf die digitale Identität (E-ID) und die Nutzung der Identifikationsdaten aus den amtlichen Personenregistern ist uns dies bereits gelungen. Die Swiss Data Alliance hat im letzten Jahr wesentlich dazu beigetragen, dass sich namhafte Unternehmen, Verbände, Politiker, Datenschützer und zivilgesellschaftliche Kreise auf ein gemeinsames Lösungskonzept für eine einheitliche digitale Identität in der Schweiz verständigen konnten: die SwissID.

Die Frage der E-ID ist ja seit Jahren im Gespräch - was braucht es denn nun konkret, damit diese umgesetzt wird?

Eine staatlich anerkannte elektronische Identität ist für die Entwicklung der digitalen Schweiz zentral. Bis jetzt konnte sich hierzulande  keine Lösung etablieren und wir hinken hinter anderen europäischen Ländern weit hinterher. Seit letztem Herbst haben sich aber 17 namhafte Unternehmen in der Schweiz, darunter die drei grossen bundesnahen Firmen Post, SBB und Swisscom, die grossen Banken, Versicherungen und Krankenkassen zu einem Konsortium zusammengeschlossen und wollen eine gemeinsame digitale Identität, die SwissID herausgeben. Auf Basis des E-ID-Gesetzes, das voraussichtlich im kommenden Herbst in den Erstrat kommt, wird dann eine  staatliche Anerkennung der SwissID möglich, wahrscheinlich ab 2020. Mit der SwissID als zentrales Element hat die Schweiz die Chance, ein vertrauenswürdiges digitales Ökosystem aufzubauen, an welchem alle Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen partizipieren und in welchem die Rechte der Individuen an ihren eigenen Daten respektiert werden.

Was müssen diese Rechte deiner Meinung nach beinhalten, damit ein respektvoller Umgang gewährleistet ist?

Im Zentrum der digitalen Selbstbestimmung des Individuums steht das Recht auf Kopie. Jede Person soll das Recht haben, eine maschinenlesbare Kopie der Daten, die sich auf seine Person beziehen, auf einfache Art und Weise von der datenführenden Unternehmung oder Verwaltung zu beziehen. Die Verwendung der kopierten Daten muss in der Zuständigkeit der betroffenen Person liegen und es ihr ermöglichen, aus ihren Daten den grösstmöglichen Nutzen zu ziehen. In der europäischen Datenschutzgrundverordnung, welche am 25. Mai 2018 in Kraft tritt, ist das Recht auf Datenübertragbarkeit verankert, welches dem Recht auf Kopie weitgehend entspricht. Diese neue EU-Verordnung erlaubt mir explizit, mit meinen Daten von einem Service-Anbieter zu einem anderen zu wechseln. Es erhöht die Wahlfreiheit und reduziert die datenbasierte Abhängigkeit von einem einzelnen Online-Dienstleister.

Was bedeutet dies genau für die Bürgerin oder den Bürger? Kannst du uns ein Beispiel geben, wo im Umgang mit den Behörden ihnen dieses Recht auf Kopie nützt?

Die Bürgerinnen können z. B. mit einer Kopie ihrer Versicherungsdaten rasch, unkompliziert und ohne Einbussen von einer Versicherung zu einer anderen zu wechseln. Oder sie können aufgrund ihrer Lebensmittelkonsumdaten eine personalisierte Ernährungsberatung in Anspruch nehmen. Oder sie können ihre persönlichen Gesundheitsdaten für medizinische Forschungszwecke zur Verfügung stellen. Oder Sie können ihre Daten für kommerzielle Zwecke verkaufen, selbstverständlich nur als Kopie.
Im Umgang mit den Behörden hilft das Recht auf Kopie den Bürgerinnen zuerst, nicht dauernd dieselben Daten von Neuem eingeben zu müssen und stets darüber im Bild zu sein, welche Amtsstellen zu welchem Zweck ihre persönlichen Daten verwenden. Dazu wäre ein Bürgerinnen-Datenkonto das richtige Instrument, in welchem alle amtlichen Daten zu meiner Person automatisch als Kopie abgespeichert werden und das auf Anfrage und unter meiner strikten Kontrolle allen berechtigten Amtsstellen zur Nutzung zur Verfügung steht. Ein solche personenorientierte Dateninfrastruktur unter der Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger könnte für die Bürgernähe und Effizienz der öffentlichen Verwaltung ein Quantensprung werden.

Wie du gerade aufgezeigt hast, gibt es viele Möglichkeiten, Daten zu nutzen. Welche Datenprojekte fändest du nebst der SwissID für die Schweiz am spannendsten?

Wie die SwissID zeigt, ist es in der Schweiz in Zusammenhang mit der Nutzung von Daten durchaus möglich, unerwartete und grosse Koalitionen zusammen zu bringen. Es gibt weitere Datenbereiche, in welchen sich breite Koalitionen für eine bessere Nutzung der vorhandenen Daten abzeichnen. Mein aktuelles Lieblingsprojekt ist der Aufbau eines gemeinsamen nationalen Dateninfrastruktur für den Schweizer Tourismus, der sogenannte Destination Data Space. Im Tourismus gibt es zahlreiche Datensilos, welche meist nur partiell oder gar nicht erschlossen sind. Innovative touristische Dienstleistungen müssen daher ihre Datenbasis stets von neuem aufbauen oder kommen aus Mangel an verfügbaren Daten gar nicht über den Status einer guten Idee hinaus. Dies wollen nun verschiedene Destinationen und touristische Dienstleister ändern und in den nächsten Jahren eine gemeinsame, langfristige Dateninfrastruktur für digitale Dienstleistungen im Schweizer Tourismus aufbauen.

 

André Golliez hat Anfang der 80er Jahre an der ETH Zürich Informatik studiert und anschliessend über zehn Jahre im IT Management der UBS gearbeitet. Seit 1999 ist er als selbständiger IT-Berater für Banken, öffentliche Verwaltungen und Forschungsinstitutionen tätig. Seit 2010 widmet André Golliez sich der Datenpolitik in der Schweiz - zunächst als Präsident des Vereins Opendata.ch und seit März 2017 auch als Präsident der neu gegründeten Swiss Data Alliance.