10 Buchempfehlungen für Neo-Bundesrätinnen und -Bundesräte

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Ab dem Moment der Wahl durch die Bundesversammlung ändert sich das Leben von Neo-Bundesrätinnen und -Bundesräten schlagartig. Das Letzte, wofür Zeit und Musse bleibt, ist entspanntes Lesen. Und doch wollen wir den beiden neuen Ministern zehn sorgfältig ausgewählte Buchempfehlungen ans Herz legen.

Die Bücher sind nicht nur für Bundesrätinnen und Bundesräte geeignet. Wer seinem Lieblingsstaatsdiener, einer befreundete Verwaltungsaficionada oder einem geschätzten Teammitglied ein Geschenk machen möchte, findet mit Sicherheit auch Inspiration.

Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen und Regieren.

 
1. “Das Ministerium für die Zukunft” von Kim Stanley Robinson (2020)

Robinsons climate fiction Roman spielt zu grossen Teilen in der Schweiz und behandelt die dominante politische Herausforderung unserer Zeit: die Klimakrise. Eine internationale Organisation mit Sitz in Zürich, eben das Ministerium für die Zukunft, ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. 

Potenziell besonders prophetisch ist Robinsons Auseinandersetzung mit radikalen Gruppierungen, die zum Schluss kommen, dass angesichts der Sachzwänge der Einsatz von Gewalt gegen Entscheidungsträger und Grossemittenten von CO2 angezeigt ist.

Alternativvorschlag für die, die Robinsons Buch bereits gelesen haben: “Termination Shock” von Neal Stephenson.

2. “Do Improvise: Less Push. More Pause. Better results” von Robert Poynton (2013)

Vom Improvisationstheater lernen, heisst siegen lernen. So oder ähnlich ist die These von Robert Poynton. Aus eigener Anschauung glauben wir zu wissen, dass er auf der richtigen Spur ist. 

Poyntons Buch ist keineswegs ein Plädoyer für improvisiert-unvorbereitetes, aber sicheres Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit. Im Gegenteil, er argumentiert für sorgfältiges Zuhören, Präsenz im Moment und kreatives Nutzen dessen, was schon da ist. Zeitgemässe Führung, in anderen Worten.

Wer’s bereits kennt, meldet sich inkognito für einen Improvisationstheaterkurs an oder liest die Klassiker “Impro” von Keith Johnstone oder “Improv Wisdom: Don't Prepare, Just Show Up” von Patricia Ryan Madson.

3. “Digital Transformation at Scale: Why the Strategy is Delivery” von Andrew Greenway, Ben Terrett, Mike Bracken und Tom Loosemore (2018)

“Software is eating the world” gilt auch für den Staat. Grosse Teile der öffentlichen Verwaltung sind ja, am Ende, schlicht grosse Informationsverarbeitungsmaschinen. Wie die digitale Transformation staatlicher Institutionen geht, haben Greenway, Bracken und Loosemore in ihrem Erfahrungsbericht festgehalten. Die drei sind Mitgründer des britischen Government Digital Service und sprechen aus eigener Erfahrung.

Grossbritannien ist uns – nicht zuletzt weil das Land von der Finanzkrise 2008 deutlich härter getroffen wurde und keine Wahl hatte, radikal Kosten einzusparen – in der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung deutlich voraus. “Digital Transformation at Scale” ist darum ein taugliches Manual dafür, wie genuin digitale Transformation gelingt.

Wer’s schon gelesen hat, erklärt das Buch für alle unterstellten Amtschefinnen und Amtschefs zur Pflichtlektüre.

4. “Talent: How to Identify Energizers, Creatives, and Winners Around the World” von Tyler Cowen und Daniel Gross (2022)

Ohne die richtigen Talente wird es der öffentlichen Verwaltung nicht gelingen, die massiven Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu bewältigen. Und wie kaum jemand anderes, haben Bundesrätinnen und Bundesräte die Gelegenheit, die Besetzung von Schlüsselpositionen zu steuern.

Nur: Wie erkennt man solche herausragenden Persönlichkeiten? 

Cowen ist Ökonom und beschäftigt sich seit Jahren obsessiv mit der Frage. Gross ist Unternehmer und als Wagniskapitalgeber darauf angewiesen, Talente zu erkennen. Die beiden haben ein Buch geschrieben, welches als praktischer Leitfaden taugt und gleichzeitig den nötigen intellektuellen Tiefgang besitzt, um die Lektüre auch über die unmittelbar anwendbaren Ideen hinaus anregend zu machen.

Wer das Buch bereits gelesen hat, teilt mit uns seine Lieblings-Interviewfrage für Gespräche mit Bewerberinnen und Bewerbern.

5. “Wardley Maps: Topographical Intelligence” von Simon Wardley (2018)

Simon Wardleys "Wardley Maps" bieten eine visuelle, kollaborative und intelligente Möglichkeit, über die strategischen Herausforderungen und Entscheidungen eines Landes nachzudenken. Was potenziell verkopft und überkompliziert klingt, ist das genaue Gegenteil davon.

Es gibt kaum eine Debatte, die nicht an Klarheit gewinnen würde, wenn man das Problemfeld mit Hilfe einer Wardley Map darstellen würde. Diskussionen rund um die “digitale Souveränität” des Landes sind ein gutes Beispiel. Mit einer wardleyschen Landkarte des digitalen Souveränitäts-Spielfelds würde rasch klar, wovon wir sprechen, wo überhaupt Handlungsspielraum besteht und wie wir agieren könnten.

Wer’s bereits gelesen hat, fängt an, auf dem Whiteboard im Bundeshaus Wardley Maps zu zeichnen, um zu antizipieren, was im nächsten Jahrzehnt auf die Schweiz zukommt. Alternativ empfehlen wir “The Art of Strategy: Steps Towards Business Agility” von Erik Schön oder “Good Strategy, Bad Strategy” von Richard P. Rumelt.

6. „Die Erschöpfung der Frauen“ von Franziska Schutzbach (2021)

Frauen haben heute so viele Entscheidungsmöglichkeiten wie noch nie. Und sind gleichzeitig so erschöpft wie noch nie. „Das Gefühl einer pausenlosen Beanspruchung, das insbesondere weiblich sozialisierte Menschen aufgrund von bestimmten Rollenzuschreibungen, Erwartungen und Machtstrukturen gut kennen“, steht im Zentrum der treffenden Analyse von Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach.

Frauen müssen eine gute Mutter und Ehefrau sein, müssen sich um Aussehen und Gesundheit kümmern, in Beruf und Privatleben Erfolg haben und sich auch noch um andere kümmern. All diese Ansprüche treiben die Frauen in die Erschöpfung. Schutzbach deckt den Anspruch an eine permanente Verfügbarkeit schonungslos auf und zeigt gleichzeitig den Widerstand, aus dem Frauen Energie schöpfen und der zur Kraft für neue Arbeits- und Lebensweisen wird.

Ein kluges Buch zu einer aktuellen Debatte, die alle Lebensbereiche, inklusive Bundesratswahlen, betrifft – und nicht nur Frauen etwas angeht.

Wer das Buch bereits gelesen hat, liest „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl, ein bewegender Roman darüber, was es heisst, in unserer Gesellschaft Frau zu sein.

7. “The Golden Mole and Other Living Treasure” von Katherine Rundell (2022)

Bekannt geworden ist Rundell als Biographin von John Donne, dem englischen Schriftsteller und Dichter des 17. Jahrhunderts. Als Hobby schreibt die begnadete Autorin aber auch seit einigen Jahren in der London Review of Books kurze Essays über Tiere. “The Golden Mole” versammelt bereits erschienene und neue Texte über, eben, Goldmulle, Giraffen, Krebse, Narwale und 18 weitere gefährdete Tierarten.

Die Essays sind nicht nur von bestechender sprachlicher Eleganz, sondern auch voller Bewunderung für die absurden Details des Tierreichs. Darüber hinaus ist das Buch wunderschön illustriert.

Wer für Tiere nichts übrig hat, aber dafür Bäume mag, liest “Die Wurzeln des Lebens” (“The Overstory”), den Roman von Richard Powers und Pulitzer-Gewinner von 2019.

8. “Der Liberalismus der Furcht” von Judith Shklar (1989)

Judith Shklars “Liberalismus der Furcht” ist kein Buch, sondern ein Essay. Trotzdem, oder gerade deswegen, gehört es auf jede Leseliste für Magistratspersonen. Shklar ist eine Verfechterin des Liberalismus und eines starken, handlungsfähigen Staates. Gleichzeitig vertritt sie einen “Liberalismus der Furcht”, also die Haltung, dass die Furcht vor staatlichen Eingriffen in unser Leben durchaus begründet ist.

In anderen Worten: Staatliche Interventionen sind nötig – und doch sollten wir staatliche Gewalt, im weitesten Sinne, fürchten und im Zweifel den Schutz des Individuums vor staatlicher Willkür höher gewichten als andere Ziele.

Wer keine Furcht spürt, der liest “The Best and the Brightest” von David Halberstam. Eine brillante Chronik des Vietnamkriegs und der grenzgenialen, aber am Ende komplett irregeleiteten Akademiker und Intellektuellen die für die amerikanische Vietnampolitik verantwortlich zeichneten.

9. “Be More Pirate” von Sam Conniff (2018)

“I’d rather be a pirate, than join the navy”, sagte schon Steve Jobs. Sam Conniffs Buch ist ein flammendes, unterhaltsames und gleichsam ernstgemeintes Plädoyer für verantwortungsvolle Piraterie. Warum sollten wir uns alle mehr an Piraten orientieren? Weil sie eigentlich die frühesten Sozialreformer waren. Gleichgeschlechtliche Ehen, Invalidenversicherungen, Co-Geschäftsleitungen? Das hatten Piraten alles lange vor uns. Zugleich waren sie einfach verdammt gut in ihrem Geschäft.

Die öffentliche Verwaltung der Schweiz braucht mehr mutige Staatspirat:innen. Conniff liefert Inspiration und Anleitung für Bundespiraten im Dienste des Gemeinwohls.

Wer seine Totenkopfflagge schon längst gehisst hat, liest Saul Alinskys „Rules for Radicals: A Pragmatic Primer for Realistic Radicals“, den Klassiker aus dem Jahr 1971.

10. “Instant Archetypes – A New Tarot For The New Normal” von Superflux (2018)

Nicht ein Buch, aber in diesen unsicheren Zeiten überlappender Polykrisen können wir jedes Quäntchen Weitblick brauchen. Was könnte sich dafür besser eignen, als ein Satz zeitgenössischer Tarotkarten?

Das Designstudio Superflux, bekannt geworden mit Exponaten an der Biennale di Venezia und im MoMa New York, hat Tarotkarten für unsere Zeit neu gedacht und illustriert. Zu den Archetypen gehören, neben anderen, der Staat, der Aktivist, Wachstum, Kollaps und das Meme.

Neo-Bundesrät:innen die bereits regelmässig Tarotkarten legen, besorgen sich “Oblique Strategies” von Brian Eno und Peter Schmidt, einen Satz von über 100 Karten mit “lohnenswerten Dilemmata”.