Wollen wir langfristige Ziele erreichen, müssen wir langfristig planen. Solange wir Planung und Umsetzung getrennt denken, kann das nicht gelingen. Die öffentliche Verwaltung braucht einen Planungsansatz, der eine klare Richtung einschlägt und gleichzeitig Raum für Unvorhersehbares schafft.
Von Ivo Scherrer, Senior Fellow und Projektleiter
Warum überschreiten so viele Grossprojekte – vom Lötschbergtunnel bis zu kantonalen IT-Projekten – ihre Zeit- oder Budgetvorgaben? Wieso schaffen wir es nicht, die Treibhausgasemissionen innerhalb der uns selbst gesetzten Frist zu reduzieren?
Die Antwort liegt auf der Hand: Wir leben bekanntermassen in einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt. Wenn wir in dieser Welt planen, implizieren wir, dass wir die Zukunft gestalten wollen, obwohl sich so vieles unserer Kontrolle entzieht: Insbesondere, wie sich Menschen verhalten und auf unsere Pläne reagieren. Dazu kommen Naturkatastrophen, Pandemien, technologische Entwicklungen, politische Machtverschiebungen und Kriege. Langfristige Planung kann sich in Anbetracht unseres Umfelds rasch als Anmassung anfühlen.
Langfristig planen zu wollen, bedeutet auch, dass wir unsere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und uns für eine lebenswerte Zukunft einsetzen. Dafür müssen wir trotz aller Unsicherheit aktiv werden und investieren: In Infrastrukturen, Prozesse, Angebote, Fähigkeiten und Beziehungen. Dafür müssen wir Neues wagen und riskieren dabei, uns verwundbar zu machen. Denn es gibt keine Garantie, dass unsere Pläne Früchte tragen werden (und wenn Erfolg garantiert ist, ist unser Plan wohl nicht ambitioniert genug).
Es führt aber kein Weg an langfristiger Planung vorbei, wenn wir in einer fluiden Welt handlungsfähig bleiben und steigenden Ansprüchen gerecht werden wollen – und besonders wenn wir ambitionierte gesellschaftliche Ziele erreichen möchten - wie etwa die Klimaneutralität erreichen oder ein qualitativ hochstehendes und bezahlbares Gesundheits- und Pflegesystem.
Auf Basis unserer Erfahrungen aus mehr als sieben Jahren und über 100 ambitionierten Projekten mit der öffentlichen Verwaltung, regen wir an, Planung und Umsetzung nicht separat zu denken, sondern als dynamischen, lernorientierten Prozess zu konzipieren, der Raum für Unvorhersehbares schafft und zugleich eine klare Richtung einschlägt.
Vier Prinzipien können uns dabei helfen, gleichzeitig ambitioniert und robust zu planen.
1. Keine Planung ohne fundierte Analyse
Erfolgreiche Planung beginnt mit der Bereitschaft, die Probleme aller relevanter Akteure verstehen zu wollen. Ohne diese Verankerung drohen wir an den realen Bedürfnissen vorbei zu planen. Denn egal wie gut wir ein Problem- oder Handlungsfeld zu kennen glauben, unsere Perspektive ist stets limitiert.
Um unsere Planung an konkreten Problemen auszurichten, führt kein Weg darum herum, den Kontakt mit betroffenen Akteuren, BürgerInnen und Betroffenen zu suchen. Am besten konsultieren wir sie direkt und fragen, wo der Schuh drückt.
Besonders, wenn wir uns in abstrakten Themenfeldern bewegen und etwa die Nachhaltigkeit, die Teilhabe, die digitale Selbstbestimmung oder die Wettbewerbsfähigkeit der Gesellschaft verbessern wollen, ist der Planung gedient, wenn wir beschreiben können, welche Akteure vor welchen konkreten Hindernissen stehen, die sie eben daran hindern, sich nachhaltig zu verhalten, teilzuhaben, digital selbstbestimmt oder wettbewerbsfähig zu sein.
Das mag offensichtlich klingen. Wer in und mit der öffentlichen Verwaltung arbeitet, weiss aber, dass oft die Ressourcen und teils auch die Bereitschaft fehlen, um direkt mit betroffenen Akteuren in Kontakt zu treten und die Ursachen hinter den Symptomen zu ergründen.
Als Planerinnen und Planer sollten wir selbstredend nicht nur zuhören und die Problemwahrenehmungen anderer Akteure 1:1 in unsere Planung überführen. Unsere Aufgabe ist es, die verschiedenen Sichtweisen in Bezug zueinander zu setzen, die wichtigsten Zusammenhänge herauszuarbeiten und zu destillieren, wo vielleicht auch Herausforderungen schlummern, die noch niemand auf dem Schirm hat. Am Ende sind wir es, die priorisieren müssen, welche Herausforderungen am wichtigsten sind, um die gesetzten Ziele zu erreichen.
2. An übergeordneten Zielen ausrichten
Die Ziele, an denen wir uns in einem Planungsprozess orientieren, können aus verschiedenen Quellen stammen: Sie können direkt aus Gesetzen und Verordnungen kommen. Oder auch indirekter aus politischen Strategien, dem Völkerrecht, oder eben der Problemanalyse konkreter Handlungsfelder.
Ohne klare Ausrichtung an übergeordneten Zielen droht langfristige Planung zu Aktionismus zu verkommen, in dem wir jeweils die Vorhaben in Angriff nehmen, die gerade technisch möglich und politisch opportun sind, anstelle von dem, was unsere Anspruchsgruppen wirklich brauchen.
Natürlich soll die Einschätzung der technischen und politischen Machbarkeit Teil jeder langfristigen Planung sein – nur darf sie in der Praxis nicht zur leitenden Handlungsmaxime verkommen. Die Herausforderung besteht darin, den idealen Punkt zu finden, wo Machbarkeit, politische Ziele und gesellschaftlicher Bedarf zusammenkommen.
Strategisch zu planen, bedeutet dabei nicht nur, sich an übergeordneten Zielen auszurichten, sondern auch die eigene Handlungsweise bewusst zu wählen. Vor dem Hintergrund, dass wir keine der komplexen Herausforderungen der Gegenwart im Alleingang lösen können, lohnt es sich, sich bewusst zu fragen, in welchem Modus wir einen möglichst sinnvollen Beitrag zur Lösung leisten können:
Schaffen wir Rahmenbedingungen für andere? Bringen wir Akteure zusammen? Schaffen wir Wissensgrundlagen? Entwickeln wir selbst neue Lösungen? Finanzieren und fördern wir Dritte? Steuern wir, indem wir andere monitoren oder sanktionieren?
3. Einzelne Vorhaben fokussieren
Genauso wichtig wie die Priorisierung von strategischen Handlungsmodi, ist es, konkrete Vorhaben zu priorisieren und Ressourcen zu fokussieren. Nur wenn wir oft “Nein” und selten “Ja” sagen, können wir genügend Biss entwickeln, um ambitionierte Vorhaben über lange Zeitstrecken hinweg zum Ziel zu führen. Ohne strategische Fokussierung zerfleddert jeder ambitionierte Plan.
Um zu priorisieren, können uns einfache Fragen helfen: Welche Herausforderung drängt besonders? Wo versprechen wir uns bei einer erfolgreichen Intervention möglichst viel Wirkung? Wo können wir unsere eigenen Stärken sinnvoll einsetzen? Wo können wir Hebel betätigen, um Lösungen in Gang zu setzen? Und wo sind andere Akteure bereit, auch mit anzupacken?
Haben wir besonders wichtige Vorhaben erstmals ausgewählt, lohnt es sich, eine Atempause einzulegen und nicht gleich mit der Umsetzung loszulegen. Denn viele Vorhaben scheitern daran, dass die ursprünglichen Pläne auf zu wenig robusten Annahmen fussen – was oft auf den Irrtum zurückzuführen ist, dass das eigene Vorhaben einzigartig sei und alles neu gedacht werden müsse. Dem können wir entgegenwirken, indem wir vergleichbare Vorhaben studieren und lernen, vor welchen Hürden diese gestanden sind und welche Faktoren zum Erfolg geführt haben.
Gleichzeitig kommen wir nicht umhin, uns auf “black swans” vorzubereiten, auf seltene Ereignisse mit gewaltigen Auswirkungen, und Puffer in unsere Planung einzubauen. Denn wir können unmöglich alles antizipieren, was Einfluss auf unsere Vorhaben haben wird.
Um ein langfristiges Vorhaben auch über lange Zeitstrecken in der Realität verankert zu halten, bewährt sich zudem, vom Ziel her zu denken und die notwendigen Planungsschritte sukzessive bis zur Gegenwart zurückzudefinieren. Somit verhindern wir, dass wir uns von Quartal zu Quartal hangeln und unsere Zwischenziele laufend neu definieren.
4. Planung und Umsetzung zu einem integrierten Lernprozess verschmelzen
Legen wir mit der Umsetzung grosser, langfristiger Vorhaben endlich los, können wir unsere Pläne nicht in der Schublade verschwinden lassen und erst bei Projektabschluss (oder Projektabbruch) wieder hervorholen.
Parallel zu unseren Zwischenzielen können wir die Resilienz der Planung verbessern, indem wir grössere Vorhaben in kleinere Etappen unterteilen. Jede Etappe hat dabei ein spezifisches Ziel: nämlich herauszufinden, inwiefern spezifische Elemente unseres Vorhabens in der Realität auch tatsächlich funktionieren.
Wir arbeiten also nicht den Umsetzungsplan ab, sondern begeben uns in fortlaufende Test- und Lernschleifen. In jedem Testzyklus testen wir konkrete Fragen:
Verstehen die Nutzerinnen unser Angebot? Löst es ihre Probleme? Funktionieren unsere internen Prozesse? Sind unsere technischen Grundlagen robust? Haben wir die richtigen Fähigkeiten, um zu liefern? Haben wir korrekt budgetiert?
In jedem Zyklus erheben wir Testdaten und entscheiden am Ende, ob wir in der Umsetzung einen Schritt weitergehen können oder ob wir unseren Plan anpassen müssen – etwa weil sich unsere Annahmen nicht bewährt oder die Rahmenbedingungen geändert haben.
Parallel dazu lohnt es sich auch für jeden Testzyklus, eine Misserfolgsschwelle vorzudefinieren, bei deren Unterschreitung wir das Projekt lieber in Würde sterben lassen, als es in die nächste Schlaufe zu zerren. Somit verhindern wir, dass wir uns zu sehr in unser Projekt verlieben und daran festhalten, weil wir bereits viel investiert haben – auch wenn wir eigentlich wissen, dass Erfolg kaum noch möglich ist.
Mut zur Unsicherheit
Im gesamten Planungsprozess werden wir nie über die perfekten Daten verfügen, die uns garantieren, dass wir die Herausforderungen richtig verstanden haben, dass wir auf die richtigen strategischen Schwerpunkte setzen und aus unseren fortlaufenden Tests die korrekten Schlüsse ziehen. Die Daten, die wir laufend erheben, können uns dabei helfen, schlauere Entscheide zu treffen und grössere Missgriffe zu verhindern.
Am Ende sind es aber wir, die planen und umsetzen. Wir müssen in dem uns gegebenen Ermessensspielraum mutig entscheiden.
Erfolgreich langfristig zu planen, bedingt also, dass wir einerseits klare langfristige Schwerpunkte setzen und uns andererseits in einen lebendigen Umsetzungsprozess begeben, in dem wir fortlaufend lernen, inwiefern wir auf dem richtigen Weg sind.
Mit dieser Art der Planung steigern wir die Wahrscheinlichkeit, dass wir unsere gesellschaftlichen Herausforderungen bewältigen können. Nur wenn wir es schaffen, langfristige Ziele trotz unsicherer Rahmenbedingungen zu erreichen, können wir das Vertrauen der Gesellschaft in staatliche Institutionen bewahren.
Auch wenn die konsequente Umsetzung dieser Prinzipien anspruchsvoll ist: Zahlreiche Verwaltungen in der Schweiz und international beweisen bereits heute, dass eine solche Arbeitsweise möglich ist und sich in der Praxis bewährt.
Empfehlungen für weiterführende Literatur
Tom Loosemore und Andrew Greenway (2024). The Radical How. Nesta.
Marianna Mazzucato et al. (2024). Statecraft for the 21st century. Institute for Innovation and Public Purpose. University of London.
Dave Snowden (2024). As through a glass darkly: a complex systems approach to futures. In: Handbook of Futures Studies (pp.48-65).
Bent Flyvbjerg (2022). Heuristics for Masterbuilders: Fast and Frugal Ways to Become a Better Project Leader. Said Business School Working Paper, University of Oxford
Bent Flyvbjerg (2021). Make Megaprojects More Modular. Repeatable design and quick iterations can reduce costs and risks and get to revenues faster. Harvard Business Review.