Lorenzo Garovi arbeitet im Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) für die Geschäftsstelle Digitale Schweiz. Im Rahmen des «International Visitor Leadership Program» (IVLP) des US State Departments reiste er mit einer internationalen Delegation durch die Vereinigten Staaten. Er traf Behörden verschiedener föderaler Ebenen sowie VertreterInnen von Wissenschaft und Wirtschaft. Welche Erkenntnisse zur offenen, zuverlässigen und sicheren Digitalisierung er zurück in die Schweiz bringt, schreibt er im Gastbeitrag fürs staatslabor.
Ein Gastbeitrag von Lorenzo Garovi, Geschäftsstelle Digitale Schweiz, Bundesamt für Kommunikation (BAKOM)
Die Pionierzeiten einer unbesorgten, freien und für alle offenen Nutzung des Internets gehören der Vergangenheit an. Je umfassender sich die Vernetzung in unserem Leben ausbreitet, desto mehr werden auch die Nachteile und Risiken sichtbar.
Um die Innovationsdynamik des Internets nicht zum Stillstand zu bringen, ist es wichtig, Schutz und Sicherheit als grundlegende Elemente der Ausgestaltung der Digitalisierung anzuerkennen. Es gilt, die negativen Auswirkungen besser unter Kontrolle zu haben ohne übermässige Einschränkungen: eine offene, zuverlässige und sichere Digitalisierung eben.
So in etwa liest sich das offizielle Schlussfazit meines Besuches. Doch was konkret habe ich aus den USA mitgenommen? Das beschreibe ich in diesem Beitrag.
Start im Zentrum der Macht
Unser Trip startete mit einer Besichtigung unserer Startdestination Washington DC. Die National Mall, das geografische Zentrum der Stadt, eignete sich bestens für einen Crashkurs über die politische Geschichte Amerikas: Vom Föderalismus, symbolisiert durch das imposante Kongressgebäude, über das Weisse Haus bis zur Gettysburg-Rede Präsident Lincolns, zu finden an der Südwand des Lincoln Memorials am anderen Ende der Mall. Diese dauerte keine 3 Minuten und bestimmt bis heute das amerikanische Selbstverständnis.
Unsere internationale Delegation - 25 Personen aus 25 Ländern - hatte zudem erstmals die Gelegenheit, sich untereinander auszutauschen. Dabei lernte ich von meinem peruanischen Kollegen Erick, dass sich auch Comics für juristische Diskussionen eignen. Wer dies nicht glaubt, kann sich auf Twitter unter #comicslaw selber überzeugen.
Bereits am nächsten Tag begann das Arbeitsprogramm, das die Gruppe die ganze erste Woche mit verschiedensten VertreterInnen aus Verwaltung, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft in Washington zusammenbrachte.
Dreh- und Angelpunkt der Aktivitäten in den USA ist die amerikanische Cyber-Vision. Die Nationale Cyberstrategie des Weissen Hauses, 2018 veröffentlicht, baut auf 4 strategischen Pfeilern auf:
- Schutz und Sicherheit,
- Wirtschaft,
- Sicherheitspolitik sowie
- Aussenpolitik.
Wie von Pittsburgh aus Cyberkriminelle verfolgt werden
Der Schutz der kritischen Infrastrukturen und der eigenen Verwaltungsnetze sowie die Bekämpfung der Cyberkriminalität stehen im Fokus des ersten Pfeilers.
In Pittsburgh erhielten wir einen praktischen Einblick in die Strafverfolgung von Cyberkriminellen. Die Stadt mit rund 300'000 Einwohnern ist ein erfolgreiches Beispiel einer Neuerfindung. Als ehemalige Stahlstadt machte sie eine Durststrecke durch, in der sie vor allem noch für das in der Stadt beheimatete Football-Team, die "Pittsburgh Steelers", bekannt war.
Doch in Pittsburgh befinden sich einige sehr gute Universitäten, so etwa die Carnegie Mellon. Sie zählt zu den besten technischen US-Universitäten in den Bereichen Bereichen IT, Robotik und Internet of Things. Dank der Forschung, der Verfügbarkeit von guten Fachkräften sowie der relativ günstigen Lebenskosten hat sich "the Steel City" in den letzten Jahren als Tech-Hub in Stellung gebracht.
Und: Sie hat sich einen Ruf als Center of Excellence in der Cybersicherheit geschaffen, wie uns der ehemalige US-Staatsanwalt David Hickton erzählte. Neben Carnegie Mellon hat das regionale Büro der US-Staatsanwaltschaft massgeblich dazu beigetragen. Der Staatsanwalt und sein Team haben sich auf Computerviren sowie Staatsattacken spezialisiert und waren massgeblich involviert in aufsehenerregende Fälle wie etwa der Wirtschaftsspionage durch die Rote Armee oder den russischen Hackerangriffen auf Anti-Doping-Agenturen.
Über Hacking-Wettbewerbe an die Uni und von dort direkt zur NSA? Gut möglich
Der zweite Pfeiler der US-Cyberstrategie fokussiert auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. Gerade im Bereich der Cybersicherheit kämpfen die USA wie auch die Schweiz mit einem Fachkräftemangel. Diesem wird in den USA auf verschiedenen Ebenen begegnet.
Einige Beispiele zur Veranschaulichung bieten Unternehmen wie Palo Alto Networks. Es erstellt für Kids von 5 bis 15 Jahren Lernunterlagen (Cyber A.C.E.S), um ihnen Grundkonzepte von Schutz und Sicherheit beizubringen. Das CyLab der Carnegie Mellon Universität veranstaltet Hacking Wettbewerbe für Jugendliche, die jungen Menschen aus der ganzen Welt offenstehen. Und die NSA definiert Centers of Academic Excellence und kennt verschiedene Unterstützungsmodelle für interessierte Studierende.
Was tun Verwaltungen, Unternehmen und Private gegen Cyber-Attacken?
Die beiden weiteren Pfeiler decken die Sicherheits- und Aussenpolitik ab. Sie nehmen Bezug auf veränderte Herausforderungen in Bezug auf Cybersicherheit - gerade vor dem Hintergrund, dass das Völkerrecht noch auf Basis analoger Instrumente angelegt ist.
Auch die Schweiz ist von letzterem betroffen. Illustrativ hierfür ist der aktuelle Streitfall der Zurich Versicherung gegen Mondelez. Der amerikanische Nahrungsmittelkonzern, zu dem Toblerone oder Suchard gehören, wurde Opfer des Computervirus NotPetya und verlangt von der Zurich nun 100 Millionen Dollar für daraus entstandene Schäden. Die Versicherung stellt sich auf den Standpunkt, dass es sich um eine Attacke Russlands handle und deshalb einem kriegerischen Akt gleichkomme, der nicht gedeckt sei.
Die Digitalisierung fordert die heutige gesellschaftliche Organisation auf allen Ebenen heraus. Eine gesellschaftlich-politische Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung des Internets ist dringend nötig. Um die Blockaden zu überwinden, machte ein UN-Panel mit Alt-Bundesrätin Doris Leuthard Vorschläge, die nun auf dem Tisch liegen und diskutiert werden. Packen wir als Schweiz die Chance und etablieren Genf als das globale Zentrum für die Digitale Gouvernanz.
Gespräche über Innovationen made in USA...
Zurück in die USA. Auf unserer Reise machten wir Halt beim wohl weltweit grössten Startup Accelerator, dem Plug & Play Tech Center - es will übrigens vom Silicon Valley nach Zürich ziehen - sowie in Charlotte beim Packard Place, dem größten Startup-Inkubator außerhalb der Bay Area, New York und Boston.
Heute wird das Modell der amerikanischen Förderplattformen für Startups in der ganzen Welt kopiert. Das wertvollste Asset dieser Plattformen ist ohne Frage das Netzwerk, das darauf aufbaut. Die Plattform ist ein kontinuierliches Experiment, wie Brad Feld in seinem Buch "Startup Communities - Building an Entrepreneurial Ecosystem in your City" festhält. Für Interessierte ist das Buch übrigens ein praktischer Guide für den Aufbau solcher Plattformen.
Ein weiterer interessanter Programmpunkt auf der Reise war der Besuch bei USAID. Dort zeigte sich, wie auch in der Entwicklungszusammenarbeit digitale Strategien formuliert werden können, die aktuelle Grundlagen zu KI in der Entwicklungszusammenarbeit sowie den verantwortungsvollen Umgang mit Daten berücksichtigen. Die Strategie befindet sich zurzeit in der öffentlichen Konsultation.
...und Inspirationen von Reise-Gspänli
Genauso spannend wie der Austausch mit den amerikanischen Experten waren die Gespräche mit den anderen Teilnehmern. Kirgistan etwa hat kürzlich das interoperable System "Tunduk" für die gemeinsame Datenverwaltung verschiedener Verwaltungseinheiten implementiert. Es basiert auf dem estnischen X-Road.
Smarte Lösungen sind jedoch nicht immer nur digital. Die Georgier haben das Konzept des One-Stop-Shops physisch umgesetzt. Im ganzen Land verteilte Public Service Halls sind ganz im Sinne der Kundenorientierung ein Supermarkt für öffentliche Dienstleistungen - alles an einem Platz. Gute Ideen, wo wir uns inspirieren lassen können, gibt es in vielen Ecken dieser Welt.
Wohin zieht es die Schweiz?
Wie der Bundesrat in seiner Strategie Digitale Schweiz schreibt, ist es gerade für ein ressourcenarmes Land wie die Schweiz wichtig, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Unser Land verfügt dabei mit seinem stabilen politischen System und seiner hohen Innovationsfähigkeit über eine gute Ausgangslage. Und: Es gibt auch in unserem Land immer wieder vielversprechende Ansätze für ein besseres und sichereres Internet, so etwa die neue Netzwerkarchitektur SCION, entwickelt an der ETH Zürich.
Wir alle stehen dabei in der Verantwortung, wenn es um die Gestaltung des Cyberraums geht, der unsere Idee vom Zusammenleben reflektiert. Nutzen wir all diese Möglichkeiten, die uns offenstehen.
(Die Darstellungen und Ansichten des Autors entsprechen nicht notwendigerweise denen des BAKOM.)
Lorenzo Garovi arbeitet im Direktionsstab des Bundesamtes für Kommunikation. In dieser Funktion ist er auch für die Geschäftsstelle Digitale Schweiz tätig, die die Koordination der bundesrätlichen Strategie Digitale Schweiz verantwortet.