Wie verstehen wir Design? Wie wenden wir es an? Wie beginnen wir damit? Diese Fragen standen an unserer März-staatskantine im Impact Hub Bern im Zentrum der Diskussion. Unser Gast Caroline Paulick-Thiel, Direktorin und Mitgründerin der Berliner Innovationsinitiative Politics for Tomorrow, tauschte sich mit rund 30 Schweizer Staatsangestellten über Ziel und Zweck von Design-Ansätzen in der Verwaltung aus und traf danach drei ausgewählte Personen zum Design Tête-à-Tête.
Design ist längst nicht mehr nur ein Thema für Produktentwickler/-innen. Auch für die Gestaltung von öffentlichen Dienstleistungen werden Design-Ansätze wie Nutzerzentriertheit oder Prototyping immer wichtiger. Denn Bürger/-innen erwarten heute zu Recht, dass öffentliche Dienste aller Art nutzerfreundlich gestaltet sind und sich möglichst einfach in ihren Alltag einbetten lassen.
Für Caroline Paulick-Thiel bedeutet Design in der Verwaltung aber nicht nur, öffentliche Dienste an der Schnittstelle zur Bürgerin und zum Bürger neu zu denken. Am 7. März brachte die Expertin für strategisches Design Erkenntnisse aus ihrer Arbeit mit Verwaltungen in Berlin an die staatskantine nach Bern. Beispiele wie die Darstellung der Verfahren zum Entwurf von Gesetzen in Deutschland (Darstellung im Titelbild, Originalquelle hier) illustrierten: “Öffentliches Gestalten” verändert auch die organisatorischen Prozesse und Mechanismen innerhalb der Verwaltung, weil es Verwaltungen befähigt, die Brücke zwischen Kreativität und Bürokratie zu schlagen. “Design”, unterstrich Caroline Paulick-Thiel, “ist die Schnittmenge von Kreativität und Machbarkeit”.
An den Tischgesprächen mit den 30 Teilnehmenden aus ganz unterschiedlichen Verwaltungseinheiten wurde dabei klar, dass drei Fragen in der Praxis besonders relevant sind - egal, ob es sich um die eidgenössische Finanzkontrolle, die Justizleitung des Kantons Bern, die Konferenz der Kantonsregierungen, das Gesundheits- und Umweltdepartements der Stadt Zürich, die Finma, die Bundeskanzlei, das eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, die Führungsentwicklung im eidgenössischen Finanzdepartement oder das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation handelt:
- Wie verstehen wir Design?
- Wie wenden wir Design an?
- Wie beginnen wir mit Design?
Wie verstehen: Nicht nutzer-, sondern menschenzentriertes Design
Für Design-Ansätze steht die Nutzerin oder der Nutzer einer konkreten Dienstleistung im Zentrum. Das ist wenig erstaunlich, weil sich Design zunächst in der Produkt- und Web-Entwicklung etablierte, um von dort in die öffentliche Innovationspraxis in Verwaltungen zu wandern. Für Caroline Paulick-Thiel ist hierbei jedoch ein Punkt fundamental: Sie macht einen klaren Unterschied zwischen nutzer- und menschenzentriertem Design. “Öffentliche Innovation basiert auf menschenzentrierten Gestaltungsgrundsätzen”, erklärte sie gleich zu Beginn.
Nutzerzentrierung engt für sie die Sicht auf eine recht klar abgegrenzte und transaktionale Beziehung ein - hier ein Angebot, da eine Nutzung. Gerade im öffentlichen Sektor sind hingegen Angebote weder klar von ihrer Umwelt abzugrenzen noch auf eine rein rationale Tauschbeziehung zu reduzieren. Es geht um Menschen, die in vielfältiger und manchmal schwer nachvollziehbarer Weise miteinander und mit ihrer Umwelt interagieren. Es geht um Rechte und Pflichten, um verschiedene Werte, um Beteiligung und Befähigung und deshalb im Kern darum, den Menschen ein Realisieren ihrer vielfältigen Lebensentwürfe zu ermöglichen.
In diesem Sinn fördert die Berliner Innovationsinitiative Politics for Tomorrow, die Caroline Paulick-Thiel seit 2015 leitet, explizit menschenzentrierte Gestaltungsansätze in öffentlichen Innovationsprozessen in Deutschland, von der lokalen bis zur höchsten Bundesebene. “Menschenzentrierung ist für uns zentral, denn Menschen sagen zum Beispiel das Eine und tun dann das Andere. Wir können mit diesem Ansatz solche Irrationalitäten abbilden”, erklärte Caroline Paulick-Thiel den Anwesenden. In der Praxis gleiche das menschenzentrierte Vorgehen einem ethnographisch inspirierten “interessierten Forschen”, das sich in die Schuhe von jemand anderem begibt, Irren und Lernen angewandt fördert und Veränderungen nicht nur quantitativ misst, sondern auch qualitativ “spüren” und “aufspüren” kann. Damit bedeute menschenzentriertes Design auch, dass Verwaltungen ihre eigenen Handlungsgrundsätze zu hinterfragen beginnen sowie eine offenere Fehlerkultur zulassen.
Wie anwenden: Drei Cases zeigen die Breite von Design in der Praxis
“Ich glaube nicht mehr an best practice.” Für Caroline Paulick-Thiel berücksichtigen Rankings und “beste” Beispiele die konkreten Kontexte und alltäglichen Herausforderungen in einer gegebenen Verwaltungseinheit zu wenig. Viel konstruktiver als “best practice” sei ein Fokus auf “good practice”: “Ich glaube an gute Praxis. Wir können uns unterhalten darüber, was bei Ihnen und bei mir gut passt und funktioniert.”
Genau darum ging es nach der staatskantine an drei Tête-à-Têtes mit ausgewählten Persönlichkeiten aus der Bundesverwaltung. In je einer knappen Stunde vertieften sie mit Caroline Paulick-Thiel Fragestellungen aus ihrer Arbeit. Dabei zeigte sich: Design kann bereits existierende Innovationsprogramme unterstützen, kann die Verbindung von Mensch, Organisation und Kompetenz gestalten und auch ganz pragmatische Fragen wie die Gestaltung von Sitzungszimmern in den Kontext von allgemeinen Organisations- und Arbeitswelten stellen.
- Eine Kaderperson stellte ein Programm vor, in welchem ein Bundesamt seit einiger Zeit mit agilen Ansätzen abteilungsübergreifende Fragestellungen angeht. Dabei fliessen Design Thinking Methoden bereits in die Gestaltung dieser Zusammenarbeit ein, wobei das Gespräch mit Caroline Paulick-Thiel dazu anregte, eine zusammenhängende und strategische Design-Gesamtsicht auf die agilen und silo-überschreitenden Prozesse zu erarbeiten.
- Ein zweites Beispiel betraf die Möglichkeiten der Service- und Prozessinnovation insbesondere im Bereich Standards für die Digitale Verwaltung. Der Gast aus der Bundesverwaltung hat ein Forum mitentwickelt, das auf den Wissensaustausch und die kollektive Befähigung zur Innovation auf der Fachebene abzielt. Design-Grundsätze spielten in der Gestaltung des Forums eine wichtige Rolle, wobei sich das Gespräch inbesondere auch darum drehte, wie Design-Kompetenzen von einzelnen Individuen auf die gesamte Organisation übergehen können.
- Schliesslich ging ein drittes Gespräch von der konkreten Frage aus, wie die Sitzungszimmer und eine Cafeteria in einem Bundesamt so umgestaltet werden können, dass mehr Raum für Kreativität und mehr Wohlbefinden entsteht. Die Diskussion verlagerte sich schnell auf die Ebene, welche Formen der Arbeit und Zusammenarbeit wie ablaufen und welche räumlichen Rahmen dafür angemessen sein könnten: Raum ist nie neutraler Container, sondern gestaltet die Arbeitslogiken mit und ist daher ein wesentlicher Bestandteil der gelebten Organisation.
Wie beginnen: Ins kalte Wasser springen - aber gemeinsam
Die Diskussionen im Anschluss an die staatskantinen drehen sich oft um die Frage, wie man Innovationsprozesse anstösst - insbesondere, wenn der Arbeitsalltag und die Pflichtenhefte mit ganz anderen Anreizen aufwarten. Auch an der Design-staatskantine kamen die Teilnehmenden an Tischgesprächen und den drei Tête-à-Têtes darauf zu sprechen.
Für Caroline Paulick-Thiel ist klar, dass der erste Schritt etwas Mut erfordert, was gemeinsam viel besser geht als alleine: “Tun Sie es einfach, springen Sie ins kalte Wasser, rein ins Prototyping! Dabei ist es aber natürlich gut, jemanden zu haben, der einen unterstützt, den Prozess rahmt und moderiert, um ein sicheres Standbein zu haben.” Materialien und Beispiele seien verbreitet und verfügbar. So verwies sie etwa auf ihren Blog-Post zu mensch-zentrierten Entwicklungsansätzen im legislativen Kontext, auf denen ein konkreter Case beschrieben wird und Arbeitsmaterialien sowie ein Detailbericht zum Download bereit stehen:
- Zum Blog-Post "mensch-zentrierte Entwicklungsansätze im legislativen Kontext" (mit Arbeitsmaterialien und Detailbericht zum Download).
- Einen längeren Artikel zum Projekt gibt es in deutscher Sprache auf dem Medium Blog "Öffentliches Gestalten" und in englischer Sprache auf dem Crowdlaw Blog von The GovLab NYC.
“Und schliesslich”, schloss Caroline Paulick-Thiel, “sollten Sie auch rausgehen, um sich zu vernetzen mit anderen und um Erfahrungen zu teilen. Sie müssen und sollten das nicht alles alleine machen.” Zu diesem Zweck initiierte sie in Berlin 2018 im Rahmen des Creative Bureaucracy Festival auch die Academy, einen Raum für angewandtes Lernen öffentlicher Innovationen. Denn auch wenn Piloten und Prototypen sich hervorragend für den Beginn eignen, ist auch klar, dass Design irgendwann in den Geschäftsgang und in die Routineprozesse übergeführt werden muss, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen.