Innovation durch Experimentieren? Ein Mittag mit Outi Kuittinen, Head of Co-Creation Demos Helsinki

Outi Kuittnen Demos Helsinki

"Keine Experimente": Das ist für Outi Kuittinen, Head of Co-Creation des finnischen Think Tanks Demos Helsinki, die übliche Denkweise im öffentlichen Sektor und in der Politik. Wie in Finnland Experimente trotzdem gerade zu einem probaten Mittel einer bürgerinnen- und bürgerorientierten Verwaltung werden, erläuterte sie letzten Mittwoch in Zürich einem interessierten Publikum aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft.
 

Es ist das weltweit erste und sicherlich zur Zeit das bekannteste Politikexperiment: Seit 2017 und noch bis Ende Jahr testet die finnische Regierung ein bedingungsloses Grundeinkommen von 560 Euro an 2000 zufällig ausgewählten arbeitslosen Personen. Was passiert mit der Arbeitsmotivation? Wie lässt sich das System effizient organisieren? Das Experiment soll Antworten auf diese und weitere Fragen geben – und den Entscheiderinnen und Entscheidern in der finnischen Politik robuste Grundlagen liefern, ob und wie es Sinn macht, den Versuch auszuweiten. 

"Die Idee dahinter? Evidenzbasierte Politik!" So umriss Outi Kuittinen diesen experimentellen Ansatz an der staatskantine 12bis, vom staatslabor gemeinsam mit der neuartigen "Unternehmungsschule" STRIDE in Zusammenarbeit mit Open Zürich organisiert. In der Ahnengalerie des Kantons Zürich sprach die Politikwissenschaftlerin über ihre Arbeit als Head of Co-Creation bei Demos Helsinki, ein Hybrid aus Think Tank und Beratungsunternehmen, und über die finnischen Erfahrungen mit menschen-zentrierter Verwaltung, Experimentieren und Open Innovation Ansätzen.

Seit Demos 2005 gegründet wurde, um die Bedeutung gesellschaftlicher Megatrends für die Verwaltung, für Unternehmen und für das ganz normale Alltagsleben zu ergründen, habe sich in Finnland einiges getan. "Finnland ist ziemlich risiko-avers, aber gleichzeitig auch enorm zukunftsorientiert", so Kuittinen. In diesem Spannungsfeld gewinnen Politikexperimente zunehmend an Bedeutung, um die Zukunft auch ohne das ganz grosse Risiko eines umfassenden Politikwechsels simulieren zu können.

Der experimentelle Ansatz wird in Finnland mittlerweile in 27 Projekten im Bildungs- Mobilitäts-, Gesundheits- oder Kunstbereich angewandt. Das Vorgehen ist dabei immer ähnlich: Mit einer kleinen Versuchsgruppe - eine Anzahl Personen, Quartiere oder Amtsstellen - testen Verwaltungen, ob sich neue Politiken in einer realen Umgebung bewähren oder nicht. Schliesslich werden bis 2019 alle Resultate in Empfehlungen für die Regierung übersetzt.

Im Unterschied zum klassischen Verständnis im öffentlichen Sektor sind bei Experimenten unerwartete Entwicklungen oder sogar ein Scheitern Teil des Konzepts. Gerade bei kontroversen Ideen wie dem Grundeinkommen besteht so die Möglichkeit, in einem kleinen Rahmen einen fundierten Realitätstest durchzuführen und dadurch zur Versachlichung der Diskussion beizutragen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, Bürgerinnen und Bürger schon früh in Erneuerungsprozesse von Politiken und Verwaltungshandeln mit einzubeziehen - idealerweise bereits bei der Definition der Fragestellung, sicher aber bei laufenden Evaluationen während und nach des Experiments.

Für Kuittinen steht das Beispiel der finnischen Arbeitsvermittlung sinnbildlich für das Potential von Experimenten für Innovation im öffentlichen Sektor. Um Arbeitssuchende schneller und besser zu den geeigneten Stellen zu bringen, änderte ein Amt versuchsweise seinen Ansatz. Statt einen Nachweis zu verlangen, welche Bewerbungen im Vormonat abgeschickt worden sind, sollten Klienten eine Übersicht zu ihren geplanten Efforts vorlegen. Der Wechsel von einer Vergangenheits- zu einer Zukunftsorientierung zeigte Wirkung: Die Vermittlungsquote stieg um 5%. Das Experiment wurde mit Erfolg auf 12 Arbeitsämter ausgeweitet (Quote +2%). Heute werden 25’000 Angestellte der finnischen Arbeitsämter auf diesen zukunftsorientierten Ansatz umgeschult.

Innovation und bürgernahe Verwaltung sei aber nicht nur eine Frage von Fakten, geprüften Annahmen und intelligenten Versuchsanlagen, sondern immer auch in einen grösseren Zusammenhang eingebettet, unterstrich Kuittinen. Wie das Beispiel von Finnland zeige, brauche die Einführung von Experimenten als Mittel öffentlicher Innovation bereits eine gewisse Innovationskultur, die offen für neue Formate sei und bei Fehlern nicht nach Schuldigen, sondern nach Lernmöglichkeiten suche. Das sei in Finnland 2014 und 2015 durch die Unterstützung des Premierministers der Fall gewesen.

Die neue Regierung habe nun zwar die Lancierung weiterer Experimente noch nicht beschliessen wollen, was zeige, dass diese eben immer in einem politischen und kulturellen Kontext stattfänden. Aber Kuittinen geht davon aus, dass der experimentelle Ansatz die Innovationskultur in Politik und Verwaltung - unabhängig der jeweiligen Regierung - langfristig verändern kann: "Scheitern ermöglicht Lernprozesse, und nur dadurch können wir herausfinden, welche Ideen zukunftsfähig sind."

Die Bedingung für einen solchen Kulturwandel ist für Outi Kuittinen, dass die Experimente nicht nur unverbundene Pilotprojekte bleiben, sondern Teil einer vernetzten Bewegung werden, die ein Klima bürgernaher Innovation schaffen. Denn für Demos Helsinki sind Experimente "nicht nur ein Werkzeug für öffentliche Innovation, sondern ein ganzheitlicher Ansatz zur Lösung von gemeinsamen Herausforderungen." Der finnische Think Tank hat deshalb eine Co-Creation Plattform entwickelt. Sie bündelt die Erfahrungen mit dem experimentellen Ansatz und stellt methodische Werkzeuge für Organisationen und Verwaltungseinheiten bereit, die selber experimentieren wollen. 

In der Schweiz, die mit ihrer föderalen Struktur immer als Labor für neue Politiken funktioniert hat, müsste der experimentelle Ansatz eigentlich offene Türen einrennen. Umso erstaunlicher, dass Experimente im öffentlichen Sektor hierzulande noch relativ rar gesät sind. Ein aktuelles Beispiel dafür, wie es gehen könnte, ist die Zürcher Gemeinde Rheinau. Sie lanciert gerade ein schweizweit einmaliges Experiment - passenderweise wie in Finnland zum bedingungslosen Grundeinkommen.