Von Maurice Thaidigsmann und Maximilian Reiterer
26 Kantone, 26 Digitalstrategien? Diese Frage hatten wir uns gestellt, nachdem wir im September 2019 das erste Interview zu den Digitalisierungsstrategien der Kantone veröffentlicht haben. Stephan Arnold, Amtsleiter Informatik und Organisation des Kantons Zug, stand uns Rede und Antwort. Exakt 302 Tage später haben wir mit 24 der 26 Kantone über ihre Digitalstrategie gesprochen- nur die beiden Basel fehlen (noch) in unserer Sammlung.
Hier sind fünf Punkte, welche uns bei den Gesprächen über die 24 kantonalen Digitalisierungsstrategien aufgefallen sind:
1. Digitalisierung ist auch bei den Kantonen nicht nur eine Frage der Technologie
Die Kantone machen den ersten Schritt absolut richtig: Sie sehen Digitalisierung nicht nur als technischen Prozess. Viele verweisen gar explizit darauf, dass Digitalisierung nicht nur eine technische, sondern auch eine operationelle und politische Dimension hat und somit eine grundlegende Aufgabe der Verwaltung im 21. Jahrhundert ist. Die Gestaltung der Digitalisierung bedürfte somit im föderalen Bundesstaat Schweiz auch einer Neugestaltung der Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Kantonen und der Gemeinde.
“Kundenprozesse der öffentlichen Verwaltungen sollten unabhängig von der Zuständigkeit bei Kanton, Gemeinden und dem Bund "End to End" gestaltet werden.”
Daniel Brändli, Leiter Strategie und Aussenbeziehung, Kanton Aargau
Ebenfalls im Zentrum der Digitalstrategien stehen Effizienz- und Qualitätsgewinne. Beide Punkte sollen Hand in Hand gehen. Ein gutes Beispiel ist die Strategie des Kantons Bern. Mirjam Tschumi, Vizestaatsschreiberin, fasst es wie folgt zusammen: “In absehbarer Zukunft sollen Bevölkerung und Wirtschaft sämtliche Geschäfte mit der Verwaltung komplett elektronisch abwickeln können.” Dies werde den administrativen Aufwand reduzieren und die Attraktivität des Wirtschafts- und Lebensraums weiter fördern.
2. Estland - kleines Land, grosse Quelle der Inspiration
Auf die Frage, welche anderen Städte, Kantone oder Gemeinden die eigene Digitalstrategie inspirierten, ergibt sich ein ziemlich klares Bild: Der Blick ging über die Schweiz hinaus. Die Kantone holten sich Inspiration für ihre Strategie aus der ganzen Welt. Besonders offen für Inspiration von aussen waren dabei die französischsprachigen Kantone. Der Kanton Jura machte sich bei den Ländern Skandinaviens, sowie Estland und Grossbritannien schlau. Zwei weitere Kantone der Westschweiz gingen gar noch weiter. Sowohl Genf als auch der Kanton Waadt schauten nach Übersee und wurden in Kalifornien, Kanada und Singapur (Waadt) sowie in Australien fündig (Genf).
Schaut man sich nur Europa an, so wird ganz klar, dass Estland seinem Ruf als Digitalisierungsvorbild gerecht wird. Fast alle Kantone, die sich im Ausland inspirieren liessen, nennen Estland als Vorbild. Auch fanden vor Ort Besuche im Baltikum statt, zum Beispiel durch eine Delegation des Kantons Graubünden.
“Un peu tout cela.”
Danielle Gagnaux-Morel, Staatskanzlerin, Kanton Fribourg auf die Frage, ob Gemeinde, Kantone, der Bund oder andere Länder die Digitalstrategie inspirierten
Auf nationaler Ebene wird, wie zu erwarten, vor allem die Digitalstrategie des Bundes genannt, ferner auch die Leitlinien der Konferenz der Kantonsregierungen. Einen interessanten Weg gingen die beiden Zentralschweizer Kantone Luzern und Uri. Philipp Hochuli, der E-Government Beauftragte des Kantons Luzern hält nichts davon, einfach Strategien von anderen zu kopieren: “Bei der Entwicklung der Strategie halten wir uns natürlich in erster Linie an die bereits vorhandenen Grundlagen des Bundes. (...) Grundsätzlich sind wir aber der Ansicht, dass nur eine eigens entwickelte Strategie auch erfolgversprechend umzusetzen ist.”
Einen partizipativen Ansatz schlug Uri ein. Dort wurden rund 1000 Unternehmen befragt, um ihre Hauptbedürfnisse zu ermitteln. Laut Adrian Zurfluh, Landschreiber und Informationsbeauftragter des Kantons, sollen die dabei gewonnen Erkenntnisse auch den EinwohnerInnen zugutekommen.
3. Partizipation wird klein geschrieben
Wenn wir gerade schon bei Partizipation sind, dann lässt sich durchaus beobachten, dass diese in Bezug auf Digitalstrategien im Land der direkten Demokratie noch ausbaufähig ist. Nicht nur die Partizipation ist wenig stark vorhanden, auch die Bürger- oder Nutzerfreundlichkeit ist kein grosses Thema. Einzig Graubünden, St. Gallen und Uri stechen hier heraus.
“Zudem ist es wichtig, dass man die Aussensicht von BürgerInnen und Unternehmen auf die Verwaltungsangebote stärker verankert.”
Ivo Toman, Leiter eGovernment, Kanton St. Gallen
Auch bei den Akteuren, die an der Erarbeitung der Strategie mitgewirkt haben, nennt nur Genf die BürgerInnen als Mitgestalter. In anderen Kantonen waren vorwiegend die hauseigenen Departemente und kantonale MitarbeiterInnen für die Digitalstrategie zuständig. Neben den kantonalen Stellen wirkten auch externe Partner und Berater bei der Entwicklung mit.
4. Ohne Kulturwandel keine erfolgreiche Digitalisierung
Wie alles Neue bringen auch die Digitalstrategien zwangsläufig Herausforderungen mit sich. Diese unterscheiden sich natürlich von Kanton zu Kanton, alleine schon deshalb, da jeder Kanton seine eigene Strategie verfolgt. Trotzdem zeigen sich einige Cluster, die aufzeigen, wo die Schwierigkeiten liegen.
“Die grössten Herausforderungen liegen beim Miteinbezug der verschiedenen Personengruppen.”
Stefan Heinzer, Amtsvorsteher für Informatik im Finanzdepartement, Kanton Schwyz
Die grösste Herausforderung zeigt sich beim Einbezug der von den Veränderungen betroffenen Menschen innerhalb der Verwaltung. Mit der fortschreitenden Digitalisierung muss innerhalb der Verwaltungen auch ein Kulturwandel stattfinden. Diesen auch erfolgreich durchzuführen, nennen die meisten Kantone als Herausforderung.
Auch einen Überblick über alle internen Stakeholder zu gewinnen und diese anschliessend einzubeziehen stellt die Kantone vor Herausforderungen. So sieht Beatrice Hasler-Dierauer, Kommunikationsverantwortliche der Abteilung Digitale Verwaltung des Kantons Zürich, vor allem die Koordination und Abstimmung der insgesamt fast dreissig Projekte, die innerhalb der kantonalen Verwaltung momentan zur Digitalstrategie laufen, als herausfordernd an.
Ein letzter Punkt, der häufig genannt wurde, betrifft die allgemeine Modernisierung der Verwaltung. In den Kantonen Ob- und Nidwalden, die eine gemeinsame Digitalstrategie verfolgen, äussert sich dies zum Beispiel darin, dass die Gesetzgebung der Digitalisierung oftmals noch einen Schritt hinterher ist und eine Anpassung, auch wenn sie schnell vonstatten geht, doch immer eine gewisse Zeit kostet. Oskar Zumstein, Geschäftsführer des gemeinsamen Informatikleistungszentrums der Kantone Obwalden und Nidwalden, dazu: “Die Digitalisierung darf nicht an der Technik oder an Verfahren, wie die elektronische Unterschrift, scheitern, sondern die Technik muss sich einfach integrieren lassen und die Verfahren müssen von den Prozessabläufen überdacht werden.”
5. Es braucht gezielteren Austausch
Neue Gefässe zum Austausch sind von den Kantonen in Bezug auf die Digitalstrategie eher nicht gewünscht. Es besteht über alle Kantons- und Sprachgrenzen hinweg Einigkeit, dass diese in bereits ausreichendem Masse vorhanden seien. Die Stolpersteine liegen also nicht in der Häufigkeit des Austausches, sondern eher im Ablauf des Austausches.
“À l’avenir, il serait opportun de mieux s’associer avec des entreprises.”
Matthieu Lachat, Direktor des Amts für Informatik, Kanton Jura
Insbesondere wünschen sich die Kantone, mit Akteuren ausserhalb der Verwaltung ins Gespräch zu kommen. Während im Kanton Jura ein verstärkter Austausch mit Unternehmen gewünscht wird steht in Schwyz eine bessere Abstimmung der bereits bestehenden Gremien im Vordergrund.
Was ist also unser Fazit? Wie zu erwarten besteht bei den Digitalisierungsstrategien der Kantone eine grosse Heterogenität. Das ist auch wenig überraschend und erlaubt massgeschneiderte Lösungen. Aber es darf durchaus die Frage gestellt werden, ob eine stärkere Zusammenarbeit die Ressourcen nicht besser bündeln würde.
Wie wirksam Strategien sind, zeigt sich in deren Umsetzung. Nicht alles, was sich in der Theorie gut anhört, muss auch Erfolg haben. Eine schlüssige Strategie ist vielleicht notwendig, aber sicherlich nicht hinreichend für eine erfolgreich digitalisierte Verwaltung.
Auch dieser Blog-Post kommt am Schluss nicht ganz ohne Covid-19 aus. Denn gerade diese Krise hat gezeigt, wie dringlich das Thema Digitalisierung ist und auch bleiben wird. Die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen ist nämlich definitiv kein Luxusthema. Das haben die letzten Monate gezeigt.