Was IT von der Schweiz lernen kann

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Kernprinzipien der Staatsorganisation der Schweiz – insbesondere die Idee der Subsidiarität – können uns interessante Impulse für die Diskussion um digitale Souveränität geben.

Gastbeitrag von Nicolas Zahn

Im Gegensatz zur schnelllebigen technologischen Entwicklung, achtet man bei der institutionellen Ausgestaltung von Staaten darauf, möglichst stabile und langlebige Gebilde zu schaffen. Zentral sind deshalb Prinzipien und Kernüberlegungen, welche das institutionelle Design treiben und möglichst zeitlos sein sollen. Eins dieser Grundprinzipien des Schweizer Staates ist die Subsidiarität. Vereinfacht gesagt, stellt die Subsidiarität sicher, dass Politik möglichst nahe bei den Bürger*innen stattfindet. 
Alle Fragen, die sich auf kommunaler Ebene klären lassen, sollen auf kommunaler Ebene geregelt werden. Warum sollte das hunderte Kilometer entfernte Bern über die Öffnungszeiten eines lokalen Parks bestimmen, wenn man dies im Gemeindeparlament diskutieren kann? Umgekehrt leuchtet ein, dass es für uns von Vorteil ist, wenn wir eine Schweizer Armee und Sicherheitspolitik haben und nicht jede Gemeinde ihre eigenen Streitkräfte organisieren muss. Subsidiarität bietet somit einen pragmatischen Weg, um verschiedene Fragen auf dem Kontinuum Zentralisierung – Dezentralisierung einzuordnen. Auf die nächsthöhere Stufe des Staates soll erst zurückgegriffen werden, wenn die aktuelle Stufe für die Bewältigung einer Aufgabe nicht geeignet oder gewillt ist. 

Zusammen mit dem Föderalismus ergibt sich so eine vielschichtige und austarierte Kompetenzverteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden, welche aber natürlich nicht ohne Diskussionen, Kritik und Wandel ist. So führt z.B. die Frage der Bildungskompetenz immer wieder zu Debatten, ob es eine schweizweite Harmonisierung braucht. Auch im Bezug auf den Einfluss des Föderalismus auf die digitale Transformation der Verwaltung und mögliche Herausforderungen wurde an dieser Stelle hingewiesen (https://www.staatslabor.ch/de/wenn-wettbewerb-fortschritt-ausbremst-foederalismus-und-digitalisierung).

Auf die Ebene kommt es an
Die Subsidiarität könnte aber ein hilfreiches Prinzip sein, um etwas Klarheit in die aktuell teils hitzig geführte Debatte um digitale Souveränität zu bringen. Denn auch bei der IT sieht man sich dem Kontinuum Zentralisierung – Dezentralisierung gegenüber. Allerdings schwingt dort das Pendel jeweils von einem Extrem ins Andere. Standen zu Beginn der digitalen Revolution Mainframes und grosse Rechnerschränke im Zentrum, folgte mit dem Personal Computer die grosse Dezentralisierung. Als mit dem Internet ein dezentrales Kommunikationsnetz hinzu kam folgte mit der Cloud die nächste Zentralisierung, denn der Markt teilt sich auf wenige Firmen auf und kann zu grossen Abhängigkeiten führen, wie der kürzliche Ausfall von Amazon Web Services erneut schmerzlich vor Augen führte (https://www.bbc.com/news/articles/cev1en9077ro). Genau diese Abhängigkeiten stehen auch oft im Fokus der Debatte um digitale Souveränität: Können wir noch funktionieren, wenn – aus welchen Gründen auch immer – die Cloud ausfällt? Auch die künstliche Intelligenz ist im Kontinuum Zentralisierung – Dezentralisierung gefangen: ja, man kann auf lokaler Hardware Modelle laufen lassen, aber nicht mit der Qualität und Geschwindigkeit wie in der Cloud, gerade bei aufwändigen Anwendungsfällen oder grossem Volumen.

Wie hängt dies nun mit Subsidiarität zusammen? Ganz einfach: warum wenden wir die Subsidiarität nicht auf die IT an? Schliesslich werden unsere Endgeräte – quasi die Gemeinden der IT-Landschaft – immer leistungsfähiger. Warum muss man sich für Aufgaben und IT-Operationen, die auch auf einem Endgerät durchgeführt werden können, stattdessen an die Cloud binden und riskieren, bei einer fehlenden Netzwerkverbindung vor einem teuren und leistungsfähigen, aber aktuell nutzlosen Endgerät zu sitzen? Warum überlegen wir uns nicht, welche Aufgaben auf lokaler Infrastruktur abgewickelt werden können, bevor wir auf die nächste höhere Ebene wechseln?

Die einfache Antwort ist: es ist halt mit Aufwand verbunden. Es ist für Anbieter und Administratoren einfacher, einfach standardmässig auf eine bestimmte Ebene zu setzen, weil es die Komplexität in ohnehin meist komplexen Umgebungen nicht noch zusätzlich erhöht. Eventuell könnte sich dieser Aufwand aber lohnen, weil er uns mehr Flexibilität und Resilienz erlaubt. Sich durch die Brille der Subsidiarität der Frage der digitalen Souveränität anzunähern würde uns auch erlauben, eine konstruktivere Debatte weg von den extremen Rändern des Zentralisierung – Dezentralisierungs-Kontinuums zu führen. Vielleicht finden wir ja auch für die IT der Verwaltung ein gut austariertes System, genauso wie für staatliche Kompetenzen und politische Fragen.