Nachdem es lange dauerte, überhaupt Aufmerksamkeit und Einsicht für die Notwendigkeit der digitalen Verwaltung zu erhalten, wird nun über Geld und Fachkräftemangel debattiert doch das wirkliche Problem bleibt ungelöst. Bis jetzt?
Von Gastautor Nicolas Zahn
Die Erkenntnis hat sich in breiten Teilen durchgesetzt: die Schweiz hinkt bei der Digitalisierung hinterher. Lange als nice to have belächelt steigt nun der Druck auf durchgängige Digitalisierung der Verwaltung durch unzufriedene Bürger, Skandale und Kostendruck. Und obwohl man sich mehrheitlich zum Konsens durchgerungen hat, dass mehr gehen muss, schreitet die Schweiz nur langsam voran.
Die Schuldigen hierfür sind schnell gefunden: man habe zu wenig Geld in die Hand genommen, es fehle an Fachkräften. Doch jetzt, da der Bund weitere Gelder spricht, z.B. wie mit dem «DigiSanté» Programm wird es ja wohl endlich vorwärts gehen?
Es gibt Zweifel. Erstens ist es fraglich ob der oft beklagte Mangel an Fachkräften wirklich das Problem ist, wenn gleichzeitig die Arbeitslosenzahlen bei Informatikern hoch sind.
Zweitens lösen mehr Geld und mehr Leute das grundlegende Problem des Schweizer Digitalisierungsdramas für mich nicht, nämlich wie die Konzepte für Projekte erstellt werden. Das Schweizer System hat jahrzehntelang tragfähige Kompromisse erzielt, indem Verbände und andere Stakeholder an den Tisch geholt wurden und sich der Bund oft vornehm zurückgenommen hat, um Lösungen durch die anderen Akteure zu ermöglichen.
Diese lange erfolgreiche Logik funktioniert bei der digitalen Transformation nicht! Schauen wir uns z.B. das EPD oder die e-ID an. Beide Projekte wurden nicht mit der Frage gestartet: welche Lösung macht angesichts der aktuellen technischen Möglichkeiten am meisten Sinn? Sondern: wie können wir Allen die aktuell eine Rolle haben auch weiterhin eine Rolle geben?
Der zentrale Aspekt der Transformation wurde somit übersprungen, harte Fragen wurden nicht gestellt. Stattdessen lautete die Devise: weiter wie bisher, nun einfach noch mit «digital on top». Das Ergebnis: beim EPD und der ersten Version der e-ID, welche auch prompt beim Volk abgelehnt wurde, landete man bei verkopften und hochkomplexen Konzepten, die viel in der Implementierung kosten und fraglichen Nutzen bringen dürften.
Statt den Nutzen für die einzelne Bürgerin in den Fokus zu setzen und zumindest zu versuchen, die Dinge neu zu denken, begnügte man sich damit eine weitere Aufgabe für die existierenden Akteure zu kreieren. Somit bleibt man weit hinter den Möglichkeiten! Datenmodell für klinische Informationen? Verbindliche Standards für den Austausch von Gesundheitsdaten? Klarheit über Geschäftsmodelle, Anreizsysteme und Regulierungen? Fehlanzeige! Stattdessen wird dann «nachgebessert» wie mit einer millionenschweren Kommunikationskampagne zum EPD oder ruckartigen Wechseln von freiwillig zu verbindlich.
Dabei zeigt die e-ID wie man es auch machen könnte. Der Grundgedanke der Einbindung ist nämlich richtig und muss beibehalten werden, aber erstens fehlt es oft an Bürger- oder zivilgesellschaftlicher sowie technisch unabhängiger Vertretung. Dies adressiert das aktuelle e-ID-Projekt mit den öffentlichen Konsultationsrunden. Und auch das zweite grosse Problem wird nun angegangen: man spricht nämlich über die schwierigen Fragen, ohne einfach zu sagen: «das ist jetzt digital und damit fortschrittlich und gut.» Man zeigt stattdessen auf, wer wirklich welche Rolle haben soll, weshalb das dem Einzelnen etwas bringt und wie es in ein Gesamtkonzept passt.
Doch die nächsten Baustellen warten schon, z.B. mit eJustitia 4.0. Elektronische Akte ist überfällig und super, aber warum beschränkt auf den Rechtsverkehr? Es ist ja nicht so, dass nur Gerichte und Kanzleien, sondern alle Behörden Papierakten austauschen, würde also eine generelle eAkte wie in anderen Ländern nicht mehr Sinn machen?
Es ist wie beim Häuserbau: mit vielen guten Maurern und teuren Materialien entsteht noch kein Haus, in dem man gerne wohnt. Die Schweiz muss endlich mehr in durchdachte digitale Visionen investieren, denn ohne diese Blaupausen wird es nicht nur langsam vorwärtsgehen, sondern evtl. auch in die falsche Richtung.
Umso besser, dass der Bundesrat just auf Jahresende gleich drei Strategien verabschiedet hat. Mit diesen Bauplänen darf man auf Besserung im Jahr 2024 hoffen!